Die Lust am Lager
Die Lust am Lager

Die Lust am Lager

Die zweifellos erfolgreichste räumliche Ordnung des aktuellen Fernsehens ist das Lager. Ganz gleich, ob man den jeweiligen Raum nun als „Bandhouse“, „Dschungelcamp“ oder „Model-WG“ tituliert: Dort herrscht der Ausnahmezustand. Es gelten keine Gesetze, sondern Regeln, die von einem einzelnen Souverän jederzeit und ohne Wissen der ihnen Unterworfenen geändert werden können, und Verträge, die es nach Einschätzung mancher Juristen zur Sittenwidrigkeit nicht allzu weit haben. Dass solche Unterminierungen der Judikative nicht neu sind (Foucault lesen lohnt immer), sondern beinahe schon TVs Lieblingsbeschäftigung, weiß man von den so genannten Gerichtsshows. Wo Privatfernsehen drauf steht, ist eben auch Privatfernsehen drin: Alles Öffentliche wird von „den Privaten“ konsequent privatisiert. Was die Zuschauer des Lager-Fernsehens bald für Forderungen stellen werden, nachdem die Gerichte längst über die Folgen der Gerichtsshows und Crime-Serien klagen (CSI-Effekt), mag man sich lieber nicht vorstellen.

Das Lager als „nómos“, als Einheit von Ordnung und Verortung, der Moderne ist eines der großen Themen des italienischen Philosophen Giorgio Agamben. Den modernen Staaten liegt laut Agamben nicht der Mensch als freies und bewusstes politisches Subjekt zugrunde,

sondern vor allem sein nacktes Leben, die einfache Geburt, die als solche im Übergang vom Untertan zum Bürger vom Prinzip der Souveränität eingesetzt wird. Die implizite Fiktion besteht darin, dass die Nativität unmittelbar Nation wird, so dass es zwischen den beiden Begriffen keinen Abstand geben kann.

Mit Flüchtlingen ist ein solches Konzept erwartungsgemäß überfordert, weil Geburt und Nation bei ihnen nicht mehr zusammenpassen – weshalb diese displatzierten Personen nur im Un-Ort des Lagers aufgehoben werden können. Das gilt auch für jene, bei denen die mediale Gleichung von Prominenz und Präsenz nicht mehr aufgeht und die man deshalb als B- oder C-Promis bezeichnet. Agamben definiert das Lager als „stabile räumliche Einrichtung, in der jenes nackte Leben wohnt, das in wachsendem Maße nicht mehr in die Ordnung eingeschrieben werden kann.“

Zwischen echten Lagern und TV-Lagern besteht freilich ein Unterschied, ich will hier keinesfalls irgendwelche Vergleiche ziehen. Nur passen Agambens Analysen tatsächlich peinlich genau auf die Fernseh-Lager, deren Insassen ihr psychisches und physisches Leiden ja nicht spielen, sondern durchweg real erleben. In dem Kapitel „VP“ erzählt Agamben etwa von Todeskandidaten, die man in den USA als Versuchspersonen missbrauchte mit dem Versprechen, das Urteil zu mildern, sofern sie überlebten. Ganz wie die Insassen der TV-Lager mussten auch jene einen Vertrag unterzeichnen, in dem sie die volle Verantwortung für ihre Teilnahme übernehmen. Und wie die Macher der TV-Lager beriefen sich auch jene Ärzte am liebsten auf dieses Schwarz-auf-Weiß-Einverständnis. Über den Körper jener Versuchspersonen sagt Agamben: „Das Experiment kann ihn wie ein Sühneritual dem Leben zurückerstatten […] oder endgültig dem Tod übereignen, dem er bereits angehört.“ Ersetzt man „Leben“ durch „Prominenz“ und „Tod“ durch „Vergessen“, dann taugt das als ziemlich perfekte Beschreibung des Lager-TV-Versprechens.

Was ich deswegen nicht mehr hören kann, ist dieses „Ist schon okay, wenn ihr das guckt, das tue ich doch auch“ der Journalisten, das sich mittlerweile als Umgang mit solchen Sendungen durchgesetzt hat. Denn gerade Zynismus scheint mir in diesen Fällen keine angemessene Haltung, und ein Journalist, der solche Äußerungen ernst meint, hat imho seinen Beruf komplett verfehlt. (Andererseits wundert mich eigentlich nichts mehr, nachdem ich vor einiger Zeit las, wie sich eine SZ-Redakteurin über „politische Korrektheit“ beschwerte, weil sie Sarrazin – auch so eine Folge der Nativität-Nation-Gleichung – nicht öffentlich Recht geben darf. Und es dann doch tat: „Natürlich sagen wir: Berlin muss aufpassen, dass die Türken das nicht so mit uns machen wie die Kosovaren mit dem Kosovo, die kriegen die vielen Kinder, wir haben im Durchschnitt ein halbes Kind, und die kriegen sieben Kopftuchmädchen“).

Was außerdem hinzugefügt werden muss für all jene, die die Intellektualität von Bach und Zietlow loben, nur weil sie Sartre zitieren können: Dafür waren auch Lageraufseher immer schon bekannt.

Nachtrag am 27.1.: Der Versuch der Löschung der Identität mittels Entzug des Namens („Sarah Dingens“) passt auch sehr schön ins Bild.

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