Gefällt-mir-Journalismus
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Ich weiß nicht, ob die Aufstände in Ägypten auch ohne Twitter und Facebook so stattgefunden hätten und stattfänden, wie sie bislang stattgefunden haben und weiter stattfinden. Ich weiß nur, dass es mir Unbehagen bereitet, wenn Revolutionen mit Markennamen versehen, eben: markiert werden. Denn das ist das allererst Besondere und Neue daran: dass sich westliche Marken Revolutionen unter den rhetorischen Nagel reißen – und die Internetgemeinde fröhlich mitmacht. Plötzlich ist die kritische Haltung, die man sonst den Dingen entgegenbringt, wie weggeblasen.

Niemand würde das französische 1789 als „Bücherrevolution“ und niemand das deutsche 1989 als „Fernsehrevolution“ bezeichnen, obwohl diese Bewegungen dem jeweiligen Medium offensichtlich viel zu verdanken haben. Auch den zugehörigen „neuen Journalismus“, dem vor allen anderen Richard Gutjahr seine G!-Stempel aufgedrückt hat, kann ich nicht erkennen. Und wenn, dann gefällt er mir zumindest nicht. Denn bei Gutjahr erfahre ich zwar, was die Menschen in Ägypten so denken und dass das da irgendwie gefährlich ist. Die Fragen, die ich an die Ereignisse habe – Welche Parallelen gibt es zu der Besetzung des Tiananmen-Platzes? Gibt es ein politisches Programm? Welche Folgen könnte diese Revolution für Israel haben? Was ist Mubarak politisch eigentlich für ein Typ? Und so weiter und so fort – werden hier nicht beantwortet, stattdessen erhält man die aufgeregten Infos eines Adabeis (für die Nicht-Bayern: eines Menschen, der immer und überall auch dabei, auf Bayerisch: a dabei, sein will). (Aber das kennt man ja von Gutjahr.)

Auf der Suche nach Antworten schalte ich deshalb lieber den Deutschlandfunk oder das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein, das von der FAZ vermutlich nur pro forma wieder einmal ein bisschen geprügelt wurde (hier die Reaktion des Tagesschau-Chefs Kai Gniffke). Denn nur da finde ich die hinterfragenden Stimmen, die ich suche. Während die Facebook-Gemeinde sich längst darüber klar ist, dass alles super ist, was gerade in Ägypten passiert – eine Meinung, die ich mir niemals zutrauen würde, denn davon habe ich schlichtweg zu wenig Ahnung; jedenfalls offensichtlich weniger als jene, die, anstatt weitere Fragen zu stellen, lieber an irgendeinem virtuellen Marsch teilnehmen.

Ein Journalist, da hat Gutjahr recht, kann und muss nicht objektiv sein. Aber mehr als den Gefällt-mir-Button zu klicken sollte er schon können.

P.S.: Über diese Art der Echtzeit-Historisierung von Ereignissen müsste man auch einmal genauer nachdenken, nur fehlt mir leider dazu die Zeit. Vielleicht bzw. hoffentlich ein andermal.

3 Kommentare

  1. Anne Emrich

    Schön geschrieben,
    nur leider bin ich mit den meisten Punkten überhaupt nicht einverstanden!
    Auch wenn man ein „Facebook-Jünger“ ist, kann man sich sehr wohl über die Fakten informieren. Nicht auf Faacebook, nein, aber dafür gibt es eine Vielfalt von anderen Seiten mit Hintergrundinformationen, Liveticker, etc Und ARD und ZDF sind da nicht dabei. Die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen lässt reichlich zu wünschen übrig. Wie so oft. Momentan bin ich fast dazu bereit meine Rundfunkgebühren wieder zurück zu verlangen….

    Das schöne an der vielfältigen Berichterstattung ist, wie ich finde, das man als einigermassen intelligenter Mensch sich ein ziemlich gutes Bild über bestimmte Zusammenhänge machen kann.
    Und ich sehe das fast schon als Beleidigung an als „unkritisch“ gesehen zu werden weil ich mich über facebook für bestimmte Dinge einsetzte. Das ist sehr einfach und populistisch gedacht.

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