Medien-Hysterien
Medien-Hysterien

Medien-Hysterien

Es gibt Dinge, über die berichten Medien nicht. Selbstmorde zum Beispiel (sofern sie nicht von Prominenten unternommen werden). Man weiß nämlich, dass die Berichterstattung darüber die Zahl der Nachahmer signifikant ansteigen lässt. Indem die Medien sich an dieses Gebot halten, geben sie mehr oder weniger unmissverständlich zu, dass ihr Tun Folgen hat und sie lieber nicht riskieren wollen, dass sie dafür zur Verantwortung gezogen werden (vielleicht nicht juristisch, aber doch moralisch). In anderen Fällen sieht das anders aus. In Sachen Werbung zum Beispiel: Diese Art der Veröffentlichung soll schließlich Folgen zeitigen, was sich Zeitungen und Fernsehsender ja auch entsprechend entlohnen lassen. Allerdings wird auch die Werbung langsam gefährlich für deren Rezipienten. Zwei Meldungen, eine vom September 2007:

Tumulte, zerbrochene Scheiben, Verletzte: Ein Elektronik-Markt hat zur Eröffnung des neuen Einkaufszentrums Alexa am Berliner Alexanderplatz rund 5000 Schnäppchenjäger angelockt – und musste nach zwei katastrophalen Stunden geschlossen werden. (spiegel.de)

Und eine vom April 2011:

Damit hatten die Veranstalter nicht gerechnet: Bei einer DSDS-Autogrammstunde in einem Einkaufszentrum in Oberhausen war der Andrang so groß, dass es zu einer Massenpanik kam. Rund 15.000 Fans strömten in das Gebäude, mindestens 60 Menschen wurden verletzt. Die Staatsanwaltschaft hat sich nun eingeschaltet. (stern.de)

Nun wundert sich der Normalbürger, wie man für einen billigen DVD-Rekorder oder ein Autogramm eines Nicht-einmal-C-Promis in eine derartige Hysterie gerät, dass man weder die Dinge noch die Körper der Anderen achtet, sondern deren Versehrtheit billigend in Kauf nimmt, um selbst zum Zuge zu kommen. Ich finde es so seltsam nicht: Seit Jahrzehnten wird das Volk der Medienrezipienten mit Versprechungen von Exklusivität und Außergewöhnlichkeit bei der Stange gehalten – und muss dann immer wieder verzweifelt dabei zusehen, dass es sich um ganz banale Lügen handelt und es also wieder einmal für dumm verkauft wurde. Dass dieses Volk die Einlösung dieser Versprechen deshalb mit aller Härte einfordert, verwundert mich insofern wenig. Vermutlich haben die Leute sogar recht/Recht mit ihrer so panischen wie brutalen Wut: Wieso sollten sie denn noch Achtung vor ihren Mitmenschen haben, wenn das nicht einmal diejenigen haben, die hierzulande die Öffentlichkeit darstellen dürfen?

Nur die Medien, die sehen wieder einmal nicht ein, was sie damit zu tun haben sollen.

Mein Lesetipp dazu wäre „Hystorien“ von Elaine Showalter.

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