Was im Busch ist
Was im Busch ist

Was im Busch ist

Erst gestern sagte ich zu einem Freund, wie peinlich ich jene Artikel finde, die versuchen, ein Bild des zeitgenössischen Intellektuellen zu entwerfen, da solche Texte meist ausschließlich damit beschäftigt sind, ein Selbstporträt des Autors zu zeichnen (siehe auch mein Altpapier von vor zwei Jahren). Nietzsche sagt´s natürlich mal wieder um einiges eleganter:

Wenn Jemand ein Ding hinter einem Busche versteckt, es eben dort wieder sucht und auch findet, so ist an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen.

Das war also gestern, und schon einen Tag später habe ich etwas sehr Ähnliches vor. Nämlich die Begründung, warum ich, die ich unter anderem als Kritikerin mein Geld verdiene, die Kritik für eines der tauglichsten journalistischen Formate der Gegenwart halte.

Der Grund dafür ist schlicht und einfach die Tatsache, dass Kritik gar nicht erst in Gefahr gerät, Vermutungen anstellen zu müssen, da sie sich ausschließlich mit Fakten (denn als solche begreife ich jede Form von Text) auseinander setzt. Als Literatur- und Medienkritikerin muss ich mir keine Gedanken darüber machen, ob – um das aktuell brisante Beispiel zu nennen – Dominique Strauss-Kahn nun schuldig ist oder nicht. Stattdessen rezipiere und analysiere ich die Texte, die im Buche oder (optisch) auf dem Bildschirm stehen. Ich muss keine Trends kreieren oder Themen erfinden, da ich den Texten zwar auf dem Fuß folge, ihnen aber niemals vorauseilen kann, da die Kritik per definitionem eine Reaktion (oder auch Antwort), aber nie eine Erzählung ohne Ursache darstellen kann. Als gute Beispiele dafür, dass auch der politische Journalismus in diesem Sinne kritisch sein kann, dürfen sowohl die Leitartikel auf der Seite 1 der Neuen Zürcher Zeitung dienen (die ich eben dafür sehr schätze, obwohl ich selten deren Meinung bin) als auch Lutz Herdens FREITAG-Kommentar über die Strauss-Kahn-Angelegenheit, der die poltischen Fakten aneinanderreiht und eben deshalb seinen Kollegen, die von ihren Imaginationen über die Geschehnisse im Zimmer 2806 offenbar gar nicht genug bekommen können, einige spannende Erkenntnisse voraus hat.

Der vermeintliche Geburtsfehler der Kritik – dass sie stets zu spät, da immer erst danach kommt, und sich also gleichsam „parasitär“ benimmt – erscheint mir daher längst als ihre angenehmste Charaktereigenschaft. Würden sich ein paar mehr Journalisten wie Kritiker benehmen, dann würde ich die Zeitung sicherlich seltener gleich wieder zuschlagen, nachdem ich sie gerade erst aufgeschlagen hatte. Weil es in der Zeitung dann um das Spiel von Birgit Prinz ginge – anstatt darum, wie sich Birgit Prinz womöglich gerade fühlt und ob man sie das nächste Mal nun aufstellen sollte oder nicht und ob sie wohl aufgestellt wird oder nicht und ob sie vielleicht zu alt ist für die WM und so weiter und so fort (siehe dazu auch den Artikel in der New York Times, der feststellt: „The sports news media in Germany are also quite at home blowing a player controversy out of proportion and then meticulously overanalyzing it.“). Würden sich ein paar mehr Journalisten wie Kritiker benehmen, stiege außerdem meine Hoffnung darauf, dass eine Information nicht mehr als Wert an sich verkauft wird, sondern deren Kontextualisierung wieder in den Vordergrund rückt. (Danach sieht es allerdings nicht aus, wenn Stimmungsmeldungen per Twitter als Zukunft des Journalismus gehandelt werden, das Live-Onlinestellen eines Blogbeitrags mit kindlichem Stolz als Qualität an sich vorgeführt wird und öffentlich-rechtliche Rundfunksender mit den Machthabern der arabischen Länder verglichen werden, weil sie das Web 2.0 angeblich nicht ordentlich zu bedienen wüssten (was ich ehrlich gesagt nicht finden kann und deshalb für so blanken wie banalen Populismus halte).)

Kurz gesagt: Die Kritik versteckt meiner Meinung nach deutlich weniger Dinge hinterm Busch, um sie dort wieder zu suchen und dann auch zu finden, als der so genannte Nachrichtenjournalismus (wiewohl das Auffinden ohne vorheriges Verstecken angeblich dessen Kernkompetenz darstellt). Und darüber bin ich wirklich froh, weil es mich wirklich gründlich langweilte, mehrere Wochen damit zu verbringen, die Erwartungen auf ein neues Buch von XY zu schüren (wie das Sportjournalisten anlässlich der Fußball-WM getan haben), um in den Wochen nach dem Erscheinen dieses Buchs darüber nachzudenken, ob dessen mangelnde Qualität womöglich daran liegt, dass der Autor womöglich unter zu großem Erwartungsdruck stand oder doch daran, dass die Erwartungen womöglich zu hoch waren (wie das Sportjournalisten anlässlich der Fußball-WM aktuell tun).

Aber vielleicht fehlt es mir auch einfach nur an Phantasie, wer weiß. Sollte ich irgendwann überraschenderweise doch in ausreichender Weise über sie verfügen, dann werde ich mein Glück allerdings bestimmt nicht im Journalismus versuchen. Sondern da, wo die Fiktionen schon immer am besten aufgehoben waren: in der Literatur.

13 Kommentare

  1. Schmitzmann

    „Fiktionen“ in der Literatur? Und was ist dann Politik vor dem Beschluss, der Grund für den Kredit oder das Warum des Mülltrennens? Dear Ms. Schuster, die Basis des menschlichen Lebens ist Fiktion. Alles, was danach kommt, Reflexion. Und dazwischen Hybris und Projektion. 😉

    1. Bastl

      Und doch nimmst du dir die Zeit um dieses Feedback abzugeben. Du investierst also in von dir bezeichnete Zeitverschwendung noch mehr Zeit..

      @katrin
      Schöne Glosse über dieses Thema. Mich erstaunt es immer wieder das lieber beim Kundenverhalten nach dem „Fehler im System“ gesucht wird als sich auf die eigenen Tugenden zu besinnen und wieder als „4. Gewalt“ zu agieren und die Dinge kritisch zu hinterfragen.

      Wenn das irgendwann mal passiert reaktiviere ich ja eventuell mal mein Abo.

  2. JensE

    @Honk Awazz: Ich werde im Stillen eine Träne für Dich vergießen …

    Der Beitrag fasst in Worte, was mich immer wieder beim Journalismus (oder was die Fuzzis dafür halten) ärgert. Danke

  3. Quacki

    Auch danke von mir für den Blogartikel.
    Bei meinem Lokalschmierblatt les ich an dpa-Teil nur noch Sport, um mich über die örtliche Fußballbundesligamannschaft auf dem laufenden zu halten (alte Angewohnheit), und wenn ich Artikel über Birgit Prinz lese, oder Michael Ballack (= B. Prinz hoch eintausend), da bleiben bei mir nicht als Fragezeichen. Wozu?? Diese „Berichterstattung“ macht fassungslos, wenn man sie wörtlich nimmt, und wütend, wenn man hinter die (billige) Fassade blickt.
    Hmm, die Dramaturgie der Ballack/Prinz-Geschicht(ch)en kommt wahrscheinlich direkt aus „Scripted Reality-TV“ (d.h. aus der Hölle).

  4. ego

    Wie man den Presseberichten entnehmen kann bricht wohl die Anklage gegen Dominique Strauss-Kahn zusammen. Naja schon blöd, wenn der Staatsanwalt seine Karriere auf den Füssen einer Kriminellen zimmern wollte. Wenn schon die Staatsanwaltschaft sagt: „Ihre Glaubwürdigkeit ist mittlerweile so gering. Wir wissen, dass wir den Fall mit ihr nicht durchstehen können.“, ja dann. DSK könnte sich entspannen, wenn da nicht eine Journalistin Tristane Banon, welche DSK auf eine angebliche Vergewaltigung im Jahre 2002 bezichtigte. Nun ja, das werden dann die französischen Gerichte beurteilen, ob es wohl so war oder ob die Journalistin Tristane Banon ihren erfolglosen Leben etwas Glanz verleihen wollte.

    1. katrin

      Ich habe überlegt, ob ich diesen Kommentar überhaupt veröffentlichen soll, weil ich ihn für misogyn halte – tu´s aber nun und erkläre meine Meinung, vielleicht hilft´s ja. So viele grammatische Fehler, so viele Vorurteile stecken auch darin: Das Zimmermädchen gilt bislang, soweit ich weiß, nicht als kriminell, sondern als unglaubwürdig; auch für sie gilt nämlich die Unschuldsvermutung. Und außerdem: Selbst wenn sie kriminell wäre, änderte das absolut nichts daran, dass es strafbar ist, sie zu vergewaltigen (dass ich das überhaupt erwähnen muss!).
      Schlicht falsch und deshalb einfach nur beleidigend ist wiederum die Behauptung, Banon wolle mit der Anzeige ihrem „erfolglosen Leben etwas Glanz verleihen“. Denn das kann man mit einer solchen Anzeige keinesfalls, im Gegenteil. Und von einem „erfolglosen Leben“ kann man bei Tristane Banon ohnehin nicht sprechen. Soll heißen: Bitte erst denken, dann schreiben. Mit Frauenfeindlichkeiten ist hier nämlich niemandem geholfen.

  5. Wenn man sich die Website von „ego“ anschaut, dann bestätigt sich ziemlich schnell, was der Kommentar schon andeutet: dass hier ein extrem unanegnehmer Charakter auftritt, der problemlos veröffentlicht werden kann, weil er sich in jedem Wort selbst entlarvt.

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