Wenn Frauen verschwinden
Wenn Frauen verschwinden

Wenn Frauen verschwinden

Ich hatte mich schon am 29. Dezember des vergangenen Jahres geärgert, mit welch raunender Entrüstung Spiegel Online über die Retusche eines Fotos vom Staatsbegräbnis in Nordkorea berichtete. Und es dann wieder vergessen, wenn heute nicht „6 vor 9“ einen etwas nüchterneren Beitrag über dasselbe Thema auf 20minuten.ch verlinkt hätte. In der zugehörigen Bildergalerie (einer ausnahmsweise sehr guten, da sehr gut und informativ aufbereiteten) kommen dann endlich auch jene Fälle vor, die keine Einzelfälle darstellen, sondern gängige Praxis sind, aber in den Augen der Presse dennoch beinahe nie zum Thema taugen: die Photoshop-Retuschen weiblicher Körper nämlich.

Das Missverhältnis ist wahrlich grotesk: Wenn Männer von Bildern verschwinden, holt Spiegel Online all seine moralischen Gesten aus der Klamottenkiste, um den Vorgang als öffentlichen Betrug an der Wahrhaftigkeit vorzustellen; daran aber, dass täglich dutzende Busen vergrößert, dutzende Frauen-Hüften verschmälert, dutzende Frauen-Hintern verkleinert und dutzende Frauen-Beine verlängert werden, scheint sich kaum einer zu stören. Als handelte es sich bei dieser Verunstaltung weiblicher Körper nicht um eine politische Handlung. Aber wie käme man denn auf die Idee? Es muss wohl daran liegen, dass die meisten Redaktionen vor allem aus Männern bestehen, denen solche Dinge einfach nicht auffallen oder einfach zu gut gefallen, um dagegen Einspruch zu erheben. Schon klar: Die minderjährige Emma Watson turnt mit ein bisschen mehr Oberweite einfach mehr an als mit einer Körbchengröße kleiner als A. Und wenn ein bisschen weibliches Fleisch hier und da verschwindet, wird das offensichtlich auch mit Befriedigung (im wahrsten Sinn des Wortes) wahrgenommen.

Was für mich eigentlich einen hinreichenden Grund darstellt, auch in Medienredaktionen die Quote einzuführen – in der Hoffnung, dass dann vielleicht irgendwann mal Schluss ist mit der Konstruktion von Frauenbildern, die uns realen Frauen das Leben täglich schwer machen (obwohl die weiblichen Redaktionen von Frauenzeitschriften diese Hoffnung nicht gerade bestätigen, ich weiß). Und dabei meine ich nicht nur die schmale Hüfte, den kleinen Arsch und den vollen Busen, die so erfolgreich und nachhaltig als Ideale vorgestellt werden, dass die Zahl der Essstörungen und der Schönheitsoperation stetig steigt, sondern die Demütigung, die es für jede Frau bedeutet, ihre Geschlechtsgenossinnen täglich als Objekte männlicher Lust vorgeführt zu bekommen. Um es mit Sibylle Berg zu sagen, deren Spiegel-Online(!)-Kolumne ich jedem hier ans Herz legen möchte:

Ich will nicht, dass die Hälfte der Erdbevölkerung zur Lustbefriedigung der anderen bereit steht, ich will keine nackten Frauen auf Tageszeitungen, ich will keine Pornos, ich will den ganzen Dreck nicht, der nahe legt, mich als Ware zu betrachten. (Aus der Folge „Männer, ich habe es satt!“)

4 Kommentare

  1. Seltsamer Mechanismus, erst irgendwo auf Facebook zu kommentieren statt direkt an der Quelle. Daher hier, als Kopie: »Dagegen zu sein (und mehr noch dagegen zu agieren), obwohl das Resultat gefällt, ist eine der psychologisch komplexesten Dinge, denen ich bis jetzt begegnet bin. Da kämpft Mann nicht nur gegen die Medien, sondern auch gegen sich selbst. Langer, harter Kampf. Und das soll keine Entschuldigung sein.«

  2. Pingback: Mädchenmannschaft » Blog Archive » Geschlechterrollen, Nordkorea und Rassimus: Die Blogschau

  3. Die Manipulation erfolgt ja häufig genug mit Einverständnis der Frauen, die eben ihren eigenen Marktwert erhöhen wollen. An bestimmten Punkten des Schönheitsideals wird man auch wenig ändern können. Jugendliche Haut, ein sportlicher Körper, Symmetrie, es spricht vieles dafür, dass das aus biologischen Gründen attraktiv ist.
    Wer gegen Manipulationen der Bilder ist, der wird als Folge nicht erreichen, dass ehrliche Bilder gezeigt werden, sondern nur, dass die Stars schneller durch jüngere Stars ersetzt werden, bei denen man weniger retouchieren muss oder aber es werden die Stars noch mehr an sich selbst arbeiten müssen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.