99 Cent
99 Cent

99 Cent

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, das Ebook sei nun endlich in den deutschen Feuilletons angekommen. Doch die Idylle trügt, denn digitale Bücher scheinen höchstens als abstraktes Phänomen interessant zu sein, anhand dessen sich über die Zukunft des Buchhandels und des Lesens im Allgemeinen schwadronieren, menetekeln oder jubilieren lässt. Als konkrete Literatur dagegen kommen Ebooks nicht vor; die bibliografischen Angaben unter einer Rezension weisen stets nur die gedruckte Version aus, und Bücher, die ausschließlich digital erscheinen, meidet das Feuilleton fast wie der Teufel das Weihwasser. Das Medium bleibt sich offensichtlich treu: Informationen über einzelne Ebooks findet man niemals auf Papier, sondern ausschließlich in digitaler Form, im Internet.

Zwar gibt es verschiedene Blogs und Portale, die sich nicht allein dem Ebook als solchem, sondern auch den Publikationen selbst widmen. Wer aber nach einem umfassenderen Angebot an Werken und allen möglichen zugehörigen Meinungen sucht, der wird wie immer von Amazon am besten bedient. Bestsellerlisten, Kundenrezensionen, Sternchen-Rankings, und das alles sogar in doppelter Ausführung, weil der Onlinehändler, gewieft wie eh und je, die kostenlosen von den zahlungspflichtigen Ebooks trennt, da anders vermutlich die ersten fünfzig oder gar hundert Plätze von lauter 0-Euro-Sellern belegt wären und Amazon also keinerlei Gewinn aus dererlei Service zöge.

Zwei Erkenntnisse fördert die Lektüre dieser Listen zutage: Erstens führt sie die Notwendigkeit einer ordentlichen Pflege der Metadaten eindrücklich vor Augen, wenn sich in der Rubrik Lyrik plötzlich die Hausmärchen der Grimms oder Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg finden und unter Gegenwartsliteratur lauter Romane aus dem 19. Jahrhundert gelistet sind. Und zweitens ist der Preis eines Ebooks offensichtlich ein deutlich entscheidenderes Kaufargument als dessen Inhalt, denn anders als mit deren Kostenlosigkeit kann man sich kaum erklären, dass ein Autor wie Hugo Bettauer und ein Buch wie Walhall. Germanischen Götter- und Heldensagen von Felix Dahn gerade eine Renaissance erleben (was mich durchaus freut). In der ‚normalen‘ Ebook-Bestsellerliste sieht es kaum umsatzträchtiger aus: Ein Großteil der Ebooks kostet 99 Cent, manche gar nur 89 Cent und kein einziges mehr als 15 Euro.

Die 99-Cent-Preise sind kein Zufall, sondern Apples kommerziell überaus erfolgreicher Zerstückelung von Musikalben in 99-Cent-Tracks geschuldet, in die der Ebook-Markt nun seine Hoffnung ebenfalls zu setzen scheint. Häppchen sind deswegen gerade schwer en vogue, und so dringt der bislang von den meisten Verlagen als Billigindikator gemiedene 9er-Preis langsam in den Markt vor. Ständiger Gast der Amazon-Ebook-Bestsellerliste ist seit September 2011 zum Beispiel der Berliner Autor Jonas Winner, der seinen Krimi Berlin Gothic wie eine Serie in einzelnen Folgen verkauft, für je 89 Cent, und sich bereits über 40.000 Downloads freuen kann. Ähnliches verfolgt der Verlag Eriginals, der die Digitalisierung ebenfalls beim Wort nimmt und Kurz- bis Kürzest-Texte anbietet, die ausschließlich digital erscheinen. Da erweist sich dann allerdings auch der Grund, warum sich das Feuilleton womöglich schwer tut mit solchen Ebooks: Ruth Klügers Essay Anders lesen rechtfertigt durchaus jeden der 99 Cent, die er kostet – aber was gäbe es schon zu sagen über die ungeordnet notierten und miserabel pointierten Anekdötchen Über Drogen und Menschen des St.-Oberholz-Wirts (99 Cent für nicht einmal zehn Seiten Text) oder die gesammelten Tweets von Anke Fitz oder Anousch Müller (je 1,99 Euro für je gut 20 lose bestückte Seiten)?

Überhaupt: Das Wunderbare an einem Ebook ist doch nicht, dass nun billig publiziert werden kann, was man vorher vermutlich niemals in Buchform veröffentlicht hätte. Sondern die vortreffliche Bildqualität sowie die gleichsam metaphysische Leichtigkeit eines E-Readers, die ihn vor allem dafür qualifizieren, ein gedrucktes Buch von vielen hundert Seiten zu ersetzen, auf dass man fürderhin nie mehr körperliche Schmerzen vom Lesen solcher Schwergewichter davonträgt, sondern sich ganz aufs Denken konzentrieren kann. Das darf dann gerne auch mehr als 99 Cent kosten – sofern es das denn wert ist. Solange es aber an einem solchen Angebot mangelt, darf sich auch weiterhin die Münchner Stadtbibliothek freuen, dass ich mich vertrauensvoll an sie wende (20 Euro pro Jahr für eine unbegrenzte Anzahl an Seiten, sowohl digital als auch analog).

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