q.e.d.
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Ich hatte ja im letzten Eintrag bereits eine leise Andeutung gemacht, die seit heute kein Geheimnis mehr ist: Ralf Bönt hat, kaum ĂŒberraschend, an meiner in der Berliner Zeitung erschienenen Kritik seines „notwendigen Manifests“ namens „Das entehrte Geschlecht“ offensichtlich ungefĂ€hr so wenig Gefallen gefunden wie ich an ebendiesem Buch von ihm. Und weil sich jede Zeitung ĂŒber eine solche Meinungsverschiedenheit nur freuen kann, hat der Feuilleton-Chef Harald JĂ€hner den Autor zum GesprĂ€ch gebeten (was ich absolut in Ordnung und richtig finde). Dass dies womöglich nur teilweise seine Idee war, kann man aus der ersten Frage erahnen (in der ich eher schlecht wegkomme, wofĂŒr ich aber ganz sicher keine Gegendarstellung einfordern werde):

Herr Bönt, Ihr Buch ist in unserer Zeitung kritisiert worden. Aber nicht darum sitzen wir zusammen, sondern weil unsere Autorin zwei Passagen sinnentstellend zitiert hat, und ich finde, es gibt innerhalb einer kulturellen Debatte wĂŒrdigere Formen der Auseinandersetzung als eine Gegendarstellung.

Ich will hier auch gar nicht weiter darauf eingehen, dass ich keine Zweifel daran hege, dass JĂ€hner und Bönt nur darum da zusammen saßen, weil ich das Buch grĂŒndlich verrissen habe, und dass ich der Überzeugung bin, dass es dieses Interview nie gegeben hĂ€tte, wenn ich zwar kompletten Blödsinn geschrieben, das Buch aber positiv besprochen hĂ€tte. Denn mir geht es um etwas anderes. Da das Interview ja quasi behauptet, ich wĂŒrde meine Arbeit nicht ordentlich machen – was der Perlentaucher heute fröhlich weitertrĂ€gt (allerdings featured der ja gerne auch mal die Achse des Guten) –, möchte ich wenigstens hier meine Sicht der Dinge zur Diskussion stellen. Ich verstehe nĂ€mlich immer noch nicht, warum meine Darstellung sinnentstellend sein soll, gerade in dem Beispiel, von dem in dem Interview die Rede ist.

Also: An der strittigen Stelle beschreibt Bönt die mĂ€nnliche Lust mit einem Beispiel von Jonathan Franzen als Eisenbahn, die vor einer Tunnel-Ampel auf Einfahrtserlaubnis wartet. Es folgen die SĂ€tze: „Die Lokomotive wartet in Franzens Realismus jedenfalls, bis das grĂŒne Licht kommt. Das ist natĂŒrlich, bei allen möglichen Abweichungen, der Normalfall.“ Nun gibt es zwei Dinge, auf die sich der „Normalfall“ und damit die „möglichen Abweichungen“ des zweiten Satzes beziehen können: entweder auf das Warten oder auf das grĂŒne Licht. Ich habe es auf das grĂŒne Licht bezogen und folglich geschrieben, dass Frauen, die kein grĂŒnes Licht geben, von dem Autor als „Abweichung“ tituliert werden.

Bönt dagegen will es auf das Warten bezogen sehen, wie er im Interview erklĂ€rt: Er habe geschrieben, sagt er da, dass „der Mann im Normalfall auf Zustimmung wartet, wobei es davon Abweichungen gibt“. Diese Variante habe ich ganz absichtlich nicht gewĂ€hlt, da ich Bönt nicht unterstellen möchte, dass er MĂ€nner, die nicht auf grĂŒnes Licht warten (der Volksmund bezeichnet sie ĂŒblicherweise als Vergewaltiger), als „Abweichung“ bezeichnet, ja, meiner Meinung nach: verharmlost. Aber bitte, wenn er das so haben will, ist mir auch recht (und ich dachte noch, ich wĂ€re nett, weil ich die weniger bittere Variante gewĂ€hlt habe). Dass Bönt offensichtlich nicht sieht, dass ich nicht den Inhalt, sondern seine rhetorischen Mittel kritisiere (das ist nunmal die Aufgabe einer Literaturkritik), finde ich, hm, doch reichlich merkwĂŒrdig; der Mann ist immerhin Schriftsteller.

Mein Text ist polemisch, keine Frage. Aber er trifft dieses Buch meiner Meinung nach gerade deshalb sehr genau; zudem halte ich ihn fĂŒr deutlich fundierter als Bönts Essay, aber auch das ist selbstverstĂ€ndlich Ansichtssache. Dass ich mich nach diesen Ereignissen kaum getraue, den Text hier online zu stellen, dĂŒrfte vermutlich jeder verstehen: Die Berliner Zeitung hat ihre Möglichkeiten und AnwĂ€lte, ich habe weder das eine noch das andere. Ob man das dann allerdings noch als Debatte bezeichnen kann, wage ich verstĂ€ndlicherweise zu bezweifeln. (Auf die zentralen Punkte meiner Kritik geht das Interview ohnehin nicht ein.)

So bleibt mir nur zu hoffen, dass jeder fĂŒr sich die entsprechenden SchlĂŒsse aus dieser Angelegenheit zieht. Mich hat es in meinem Urteil ĂŒber dieses Buch leider nur bestĂ€tigt.

47 Kommentare

  1. Um es mal mit Sven Regener zu sagen: Ich möchte mit Bönts MĂ€nnerbegriff nicht in Geiselhaft genommen werden. Ich finde den Inhalt des Buches ziemlich anmaßend.

    Die zitierte Stelle ist allerdings eindeutig. Wenn man den Kontext kennt, ist bei dieser Fallbetrachtung klar, dass es sich nicht um den Fall eines eintretenden grĂŒnen Lichts geht. Das grĂŒne Licht muss auch nicht zwangsweise unfreiwilliger Sex oder ĂŒberhaupt Sex bedeuten. Wenn man tatsĂ€chlich durch diese Interpretation den Autor derart in ein Zwielicht stellt, darf man sich ĂŒber forsche Kritik nicht wundern.

  2. katrin

    Das Beispiel mit dem grĂŒnen Licht handelt „nicht zwangsweise“ von Sex? Von was denn dann?! Genau davon spricht Bönt doch in diesem Moment. Ich fĂŒrchte, ich verstehe es immer noch nicht…

    Über die forsche Kritik habe ich mich weder gewundert noch beschwert, das sei hier unbedingt noch angefĂŒgt.

    1. Nee, der Satz

      Das grĂŒne Licht muss auch nicht zwangsweise unfreiwilliger Sex oder ĂŒberhaupt Sex bedeuten.

      ist Kokolores. Statt das grĂŒne Licht muss sich der Satz auf das – um im Bild zu bleiben – Nichtabwarten oder Ignorieren eines grĂŒnen Signals beziehen. Dieses Ignorieren ist nicht zwangslĂ€ufig eine Vergewaltigung oder ĂŒberhaupt schon ein sexueller Akt – kann es sehr wohl sein. Der Mann kann sich aber auch einfach eine fangen. (Wobei mir der Begriff des Signals ausgesprochen schwierig erscheint.)

  3. alter Jakob

    Ich muss zugeben, dass ich die Textstelle so interpretiert habe, wie Herr Bönt es gedacht hatte. Soll heißen, der Normalfall ist das warten, bis das GrĂŒne Licht da ist. Das diese Interpretation schlimmer wĂ€re, sehe ich ebenfalls nicht. Denn man kann zwar konstruieren, dass er nun einen Fall, in dem das grĂŒne Licht nicht abgewartet wird, nur als „Abweichung“ und nicht mit einem schlimmeren Wort bezeichnet (wobei ich das Buch nicht kenne und deshalb den Kontext im Buch nicht beurteilen kann). Ich persönlich fĂ€nde allerdings schlimmer (und auch realitĂ€tsferner), wenn der Autor davon ausgehen wĂŒrde, dass jede Frau im Normalfall frĂŒher oder spĂ€ter grĂŒnes Licht zum Koitus geben wĂŒrde. Ich will nicht ausschließen, dass es tatsĂ€chlich MĂ€nner gibt, denen kaum eine Frau widerstehen kann. Dass das der „Normalfall“ ist, glaube ich dafĂŒr weniger.

    1. katrin

      Ich will hier auch absolut niemand auf meine Lesart verdonnern! Ich wollte nur erklĂ€ren, wie es zu dieser meiner Lesart kam (die man gerne kritisieren kann), und dass ich die Bezeichnung „sinnentstellend“ in diesem Zusammenhang unangemessen finde.
      Das Problem ist ja: Es geht hier um insgesamt fĂŒnf, sechs Zeilen von etwa 180, die imho eher nebensĂ€chlich sind. Ließe man diese fĂŒnf, sechs Zeilen einfach weg, dann Ă€nderte das den Tenor der Kritik ĂŒberhaupt nicht; die meiner Meinung nach wirklich krassen Stellen hat der Autor gar nicht moniert. Deshalb glaube ich, dass er nach etwas gesucht hat, das eine Beschwerde rechtfertigt – und finden kann man dann immer irgendetwas, das ist völlig klar: Über Bedeutung von Worten lĂ€sst sich nunmal lange und trefflich diskutieren. Frage ist nur, wie man dann noch Literaturkritiken schreiben soll, wenn man bei einem Verriss in der Gefahr schwebt, eine einseitige Gegendarstellung zu bekommen, die sich im Zweifel auf zwei völlig belanglose Stellen stĂŒtzt. Darum geht es mir hier.

      1. alter Jakob

        Zustimmung. Zumal Bönt ja auch schuldig bleibt, warum wegen dieser, sagen wir mal, Fehlinterpretation die Kritik an sich nicht stimmen sollte.

        Mich wĂŒrde aber mehr JĂ€hner Ă€rgern, der eingangs lediglich als Stichwortgeber fungiert und mit seinen Stichworten die Leute auch noch in die Irre fĂŒhrt. Denn das Gegenteil der von Bönt gewĂŒnschten Interpretation (dass der Mann also in der Regel auf grĂŒnes Licht wartet) der Textstelle wĂ€re gewesen, dass ist der Mann in der Regel eben nicht auf grĂŒnes Licht wartet, oder das das Warten zumindest nicht der Normalfall ist. Ihre (im Übrigen zulĂ€ssige) Interpretation halte ich fĂŒr ein Aliud, also etwas anderes. Das ist aber nicht das „Gegenteil“ (womit meiner Auffassung nach von JĂ€hner noch eine Art vorsĂ€tzlicher Irrtum ihrerseits behauptet wird). Nix fĂŒr Ungut.

      2. Sie ist aber „sinnentstellend“, weil der Bezug – unabhĂ€ngig von allen grammatikalischen Verbindungsmöglichkeiten – durch den Kontext eindeutig ist.

        Was das „Problem“ betrifft, nimm mal etwas Distanz ein: Einem Zeitungsmenschen geht es, wenn er auf diese Art einen Kritisierten zum GesprĂ€ch bittet, natĂŒrlich eher um Skandalisierung als um sachgenaue Erörterung. Das hat in diesem Fall dazu gefĂŒhrt, dass der Journalist nur Stichwortgeber ist.

        Dennoch entlarvt sich Bönt, wenn er auf die reagiert und sagt

        Frauen werden sich an Kritik gewöhnen mĂŒssen, wenn sie ernst genommen werden wollen.

        Das bedeutet unterm Strich nichts anderes, als dass er die Generalisierungen Frauen / MĂ€nner nicht verwendet, um ein Problem greifbar zu machen – wieso wird von einer Frau auf Frauen schlechthin bezogen, die sich auch ĂŒberhaupt erst noch an etwas gewöhnen mĂŒssten -, sondern die Generalisierung dient dazu, die eigenen Vorurteile nicht kritisch hinterfragen zu mĂŒssen.

        Abgesehen davon finde ich die Haltung, die Emanzipation der Frau sei hinreichend beackert worden, jetzt ist der Mann dran, gerade in Deutschland grundverkehrt: Die von Sabine RĂŒckert aufgeworfene Frage ist ja immer noch unbeantwortet: Wie kann es sein, dass

        die Idee vom aufrechten Gang ganze Teile der Frauenwelt nicht erreicht hat

        1. katrin

          Gut, da können wir uns jetzt noch ewig streiten: Ich fand eben nicht, dass der Kontext nur diesen Bezug klar macht. Aber wie gesagt: Darum geht es mir in der Hauptsache auch gar nicht.

          Widerspruch möchte ich allerdings in anderer Sache einlegen: JĂ€hner zielte ganz sicher nicht auf Skandalisierung (mit diesem faden „Mainstream-Medien“-Klischee kann ich ohnehin wenig anfangen). In seiner ersten Frage wird meiner Meinung nach deutlich, dass nicht er dieses GesprĂ€ch initiiert hat.

          Und noch ein Zusatz: Die Emanzipation der Frau mag noch nicht hinreichend beackert sein – das bedeutet aber nicht, dass man nicht ĂŒber die zweifellos schwieriger werdende Rolle des Mannes reden darf. Im Gegenteil: Als ich die AnkĂŒndigung von Bönts Buch las, habe ich mich sehr darauf gefreut, weil ich das Thema fĂŒr absolut angebracht halte. Frauen können mit Kritik nĂ€mlich prinzipiell sehr gut umgehen („glernt is glernt“, wie man in Bayern sagt). Nur finde ich in diesem Buch eben leider keine Kritik, sondern, wie ich ja auch geschrieben habe, vor allem hinkende Vergleiche und rhetorische Aggressionen. Aber das wird in letzter Zeit ja hĂ€ufiger verwechselt, siehe das aktuelle Beispiel Grass.

  4. Carsten K.

    Ich finde es gar nicht gut das du die Bezeichnung „Abweichung vom Regelfall“ fĂŒr eine Verharmlosung hĂ€ltst. Es ist eine wertfreie, und meiner Meinung nach korrekte Behauptung. Eben das Vergewaltigungen nicht den Normalfall von sexuellem Kontakt darstellen.

    Muss man jedes mal wenn man darĂŒber spricht laut und deutlich sagen das Vergewaltigung schlecht ist? Ist das nicht supermegasonnenklar? Das weiss doch jedes Kind! Wirklich. Selbst jemand der vergewaltigt hĂŒtet sich davor, dass das jemand mitbekommt (oft versucht er sogar sich selbst einzureden, dass das was er tat keine Vergewaltigung war) weil absolut jeder, jeder, jeder weiss das Vergewaltigen schlecht ist.

    Darum ist die rein sachliche Behauptung das Vergewaltigungen nicht normal sind keine Verharmlosung der selben.

    1. katrin

      Ich verstehe, was Du meinst. Mir fehlt da auch nicht die moralische Verdammung einer solchen Tat. Aber „Abweichung“ finde ich schlichtweg zu verdruckst, auch weil das Buch – zumindest meiner Meinung nach – die UnterdrĂŒckung von Frauen deutlich zu oft in Abrede stellt.

      1. SwENSkE

        Von welcher UnterdrĂŒckung von Frauen reden sie denn da bitte?
        Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß Frauen in Deutschland oder irgendeinem anderen westlichen Industrieland unterdrĂŒckt wĂ€ren?

  5. Hachja

    Ich kann gut verstehen, dass fĂŒr dich der Beginn des Interviews der springende Punkt ist, der dich Ă€rgert. Mir persönlich ist es recht egal, welche ZĂŒge nun warum nicht oder doch fahren – auch wenn ich gern zustimme, dass wer seltsame Metaphern nutzt, sich nicht wundern sollte, wenn diese nicht in seinem Sinne verstanden werden. Wer nun auch immer abweicht, das Bild bleibt eigenartig, aber fĂŒr mich ist das nun wirklich nicht der entscheidende Moment in diesem wirren Interview.

    Dass dich Ă€rgert, dass Herr JĂ€hner sich nicht zu schade ist, höchst persönlich seine Autorin zur Verurteilung vorzukauen und Herrn Bönt demutsvoll hinzuwĂŒrgen – nachvollziehbar.
    Mich Àrgert vielmehr der restliche Unsinn, dem Herrn JÀhner da so freudig und kritiklos eine Plattform gibt.
    Einige MĂ€nner, die sich zum Affen machen, aber Frauen, die generell und ĂŒberhaupt sĂŒchtig danach sind, aufdringliche MĂ€nner mit falschen Handynummern abspeisen zu mĂŒssen?
    Fernsehkrimis, die ja viel zu selten, aber letztens „endlich einmal“ falsche VergewaltigungsvorwĂŒfe thematisieren? Ein in der Welt Herrn Bönts anscheinend sehr hĂ€ufig vorkommendes PhĂ€nomen, das auf der Eitelkeit von Frauen beruht.
    Und versteh ich ihn recht, dass der Feminismus kontraproduktiv ist, Jungen und MĂ€nner wegen ihres Geschlechtsteiles zu huldigen, weil dieses irgendwie gleichbedeutend mit der Ehre gegenĂŒber dem Leben ist?

    Ich halte gewiss nicht alle MĂ€nner fĂŒr potenzielle Vergewaltiger. Und ich kenne viele, die mir so ganz persönlich sehr willkommen sind, nicht weil sie etwas geleistet oder Genitalien haben, sondern weil ie tolle Menschen sind.
    Aber ich halte auch Herrn Bönt fĂŒr eine sehr wirre und seltsame Person, die ich lieber verabschieden wĂŒrde – aus der medialen Öffentlichkeit selbstverstĂ€ndlich, damit keine MissverstĂ€ndnisse aufkommen.

    1. katrin

      Mir wĂ€re es lieb, wenn wir die Person des Autors hier nicht weiter kommentieren. Ich kenne ihn nicht und kann und will mir deswegen auch kein Urteil ĂŒber ihn bilden. Mir geht es einzig und allein um den Text.

      1. Hachja

        Anscheinend nur einen Teil des selbigen. Ich kann lesen, was Herr Bönt schreibt und sagt, daher fĂŒhle ich mich durchaus in der Lage, mir ein Urteil ĂŒber seine mediale Person zu bilden.
        Aber gut, dann viel Freude und Erfolg beim WeiterrÀtseln.

  6. lx

    Ich kenn weder das Buch noch Ihre Kritik desselben, aber die zwei SĂ€tze lassen nur eine (gĂŒltige) Deutung zu: Dass das Warten der Normalfall ist.

    Wenn der ersten Satz „Die Lokomotive wartet darauf, dass das grĂŒne Licht kommt.“ lautete, könnte sich der zweite Satz auch auf den Nebensatz beziehen. Nachdem er aber den Nebensatz mit „bis“ (statt „dass“) einleitet, kann sich der zweite Satz nicht darauf beziehen.

    Meiner Meinung nach wÀre es souverÀner, wenn Sie diese Fehlinterpretation eingestanden hÀtten, statt sich auf zwei Lesearten herauszureden.

    Zur inhaltlichen Kritik der zwei SĂ€tze: Erstens muss es nicht zwingend verharmlosend sein, Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung als abnormal zu bezeichnen.

    Zweitens werfen Sie ihm Verharmlosung vor, wÀhrend Sie gleichzeitig polemisieren, wenn Sie den Volksmund jedes Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung als Vergewaltigung bezeichnen lassen.

    Zu beiden Punkten fehlt mir aber der Kontext zu den zwei SĂ€tzen, sodass ich den Inhalt nicht wirklich beurteilen kann. Insbesondere weiß ich nicht, ob er ausschließlich Vergewaltigungen oder auch andere Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung darin thematisiert.

    1. katrin

      Ich will mich nicht herausreden, sondern habe hier nur zu erklĂ€ren versucht, wie es zu meiner Lesart kam. Mir geht es auch, wie gesagt, gar nicht darum, recht zu haben. Meinetwegen können wir das gerne als falsche LektĂŒre festhalten. Ich finde meine LektĂŒre aber nicht „sinnentstellend“, das ist der Punkt (siehe auch den Kommentar von alter Jakob, der erklĂ€rt das ja perfekt).

      Es geht hier auch nicht um irgendein Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sondern sowohl im Kontext als auch metaphorisch – Stichworte Lokomotive und Tunnel – ums Eindringen mit oder eben gegen den Willen der Frau.

      1. SwENSkE

        „….sondern sowohl im Kontext als auch metaphorisch – Stichworte Lokomotive und Tunnel – ums Eindringen mit oder eben gegen den Willen der Frau.“

        Wenn man hinter jeder Ecke Dinge sieht, die alle anderen nicht sehen, dann stimmt meist mit der eigenen Wahrnehmung etwas nicht.
        Sie interpretieren mit aller Gewalt etwas in Dinge hinein, die da einfach nicht stehen.
        Und dafĂŒr gab’s zu recht eine auf den Deckel.
        Mich wundert vielmehr, daß jemand wie Sie, so ein Buch ĂŒberhaupt bespricht. Da ist das Ergebnis doch vorprogrammiert.

        1. katrin

          Das Eindringen ist nichts, was „jemand wie ich“ hinter irgendeiner Ecke gefunden hat, sondern das explizite Thema des Autors an dieser Stelle. Sie mĂŒssen mir das natĂŒrlich nicht glauben, allerdings wird es dann ziemlich schwierig mit der Diskussion. Aber daran scheint Ihnen ja ohnehin nicht gelegen.

  7. Schade, dass man sich nicht selbst ein Bild ĂŒber Ihre Kritik in der Berliner Zeitung machen kann. Egal wie man sucht, es ist nur der Text von Herrn JĂ€hner online.
    Mir reicht allerdings schon der „Blick ins Buch“ bei amazon um Ihnen meine Hochachtung zu zollen, das Sie dieses Pseudophilosophische Geschwurbel bis zur letzten Seite gelesen haben. Ich habe beim Vergleich Obama / Clinton weggeklickt.

    1. katrin

      Petra, danke! Da muss eben erst eine Frau kommen, um den MĂ€nnern und deren „Ich kenne das Buch zwar nicht, aber …“ den Wind aus den Segeln zu nehmen mit einem klaren „Ich habe mich jetzt mal selbst ein bisschen kundig gemacht und finde …“ 😉 Um hier endlich auch mal ein paar Klischees zu dreschen und es in den Worten Margaret Thatchers zu sagen: „If you want something said, ask a man. If you want something done, ask a woman.“

      1. alter Jakob

        Nur damit ich verstehe, was ich nicht verstehe: Eine Kritikerin schreibt in einem Blog einen Artikel ĂŒber ein Interview, in dem die Kritik der Kritikerin in AuszĂŒgen kritisiert wird. Und wenn dann ein Haufen MĂ€nner dann auf Grundlage des von der Kritikerin geschriebenen Artikels die Auffassung der Kritikerin zumindest in Teilen kritisieren, dann ist das ein „ich kenne das Buch zwar nicht, aber…“ (ich hĂ€tte das ĂŒbrigens Transparenz genannt, damit das GegenĂŒber weiß auf was fĂŒr einem Wissensstand man argumentiert). Ich halte es aber auch fĂŒr Ihre Schuld, dass man sich kein besseres Bild machen kann, so es denn nötig wĂ€re (worĂŒber ich mir wiederum nicht sicher bin). Sie hĂ€tten ja weitere notwendige Infos aufschreiben können.

        Naja, dann kommt eine Frau, die zwar zum eigentlichen Blogartikel nichts zu sagen hat, die aber auf amazon ein paar Seiten des Buchs gelesen hat und deshalb der Kritikerin zustimmt, dass das Buch schlecht ist. Dass jetzt diese Frau, die in Bezug auf den Blogartikel zumindest nicht wirklich on-Topic kommentiert, den MÀnnern, die sich mit dem Inhalt des Blogartikels beschÀftigen, den Wind aus den Segeln nimmt, kapier ich nicht. Um mal auf dem selben Klischee-Niveau zu bleiben: Das ist dann wohl Frauenlogik, oder?

        1. katrin

          Es sollte ein doofer Witz sein, nicht mehr und nicht weniger. Tut mir leid, wenn der nicht ankam – das ist nicht meine StĂ€rke, das gebe ich gerne zu. Insofern: Okay, Sie haben gewonnen, das war Frauenlogik 😉 Ich hatte allerdings nicht das GefĂŒhl, dass mich hier nur die MĂ€nner kritisieren und nur die Frauen mir zustimmen, auch weil ich ja gar nicht weiß, welches Geschlecht hinter dem jeweiligen Nick steckt.

          Und wie gesagt: Ich fĂŒrchte mich einfach nur vor noch mehr Ärger, deswegen wird der Artikel hier wohl nicht publiziert – denn dann muss ich mir evtl. selbst einen Anwalt nehmen, wĂ€hrend andernfalls die Berliner Zeitung das ĂŒbernimmt. Ich bin einfach extrem unsicher, was ich öffentlich machen kann, ohne Probleme zu bekommen, und was nicht. Auch wollte ich in dem Blogartikel nicht gar so kleinteilig werden. Aber wenn Sie konkrete Fragen haben, dann scheuen Sie sich bitte nicht, Sie zu stellen.

  8. Ach, Frau Schuster, es gibt gute GrĂŒnde, weshalb die „Rezension“ nicht online ist.

    Hier noch eine Kostprobe der Methode, Sie schrieben: „Die Missachtung des Genitals erkenne man schon daran, dass man Kindern beibringt, sich nach dem Klogang die HĂ€nde zu waschen.“

    Im Buch steht: „Der westliche Mensch versucht eh, nicht sexuell zu sein. Er lebt SexualitĂ€t nicht, er erledigt oder praktiziert sie meist als sanitĂ€re Angelegenheit. Auch das stammt noch aus vormodernen Zeiten. Diderot hat gesagt, die Liebe sei das lĂŒs- terne Aneinanderreiben zweier GedĂ€rme, und heute denken wir immer noch so. Das sieht man schon an der GeringschĂ€tzung der Genitalien. Dem Kind bringt man bei, sich die HĂ€nde zu waschen, nachdem es auf dem WC war. Dabei rĂ€t jeder Hygieniker mindestens ebenso zum HĂ€ndewaschen, bevor man sich intim berĂŒhrt.“

    1. katrin

      Also ich möchte meinen Lesern lieber nicht vorenthalten, wovon hier die Rede ist, deshalb wird der Text auch bald noch online gehen. Dann sind wir hier endlich alle auf demselben Wissensstand und mĂŒssen nicht mehr ins Blaue phantasieren – das sollte Ihnen doch auch lieber sein?

    2. @Ralf Bönt (Ich gehe mal davon aus, dass es sich nicht um einen gleichnamigen Troll handelt)
      Getretene Hunde jaulen…….
      Ach, Herr Bönt, Sie sind doch dem Aussehen und der Stimme nach ein ganz sympathischer Mensch, der es geschafft hat – trotz Bielefeld in Ihrer Vita. ;o)
      Aber Ihr Buch strotzt nur so vor Name-Dropping und aneinandergereihten AllgemeinplĂ€tzen mit allen Vokabeln, die das „Woxikon“ herzugeben hat.
      Berlin ist NICHT der Nabel der Welt. Es gibt nicht DEN Mann. Kommen Sie mal hier in mein Heide-Kaff, da hat sich der Feminismus noch nicht sehr herum gesprochen. Die typische Lebensform hier ist der Handwerkermeister mit der Hausfrau und Mutter an seiner Seite.
      Was und wie Sie schreiben und auch im Interview reden, ist aber irgendwie typisch fĂŒr verkopfte Fast-50-JĂ€hrige. Keine Angst, das Leben ist dann nicht vorbei, zumindest nicht fĂŒr den Mann als Bruterzeuger, siehe Wickert, PĂŒtz und Bohlen. Der Mann stirbt auch nicht frĂŒher, wenn er ab 50 brav seinen Hintern zum Arzt schleppt fĂŒr ein Belastungs-EKG und die Darmkrebsvorsorge. Nur einfach gleich auf die Frau hören.
      Zum Zitat oben: Wer ist bei Ihnen der „westliche Mensch“? Ist das versteckter Rassismus und meint „christlich“? Ich bin auch ein „westlicher Mensch“ und Sex als sanitĂ€re Angelegenheit meint bei mir eigentlich unter der Dusche.
      Und die „GeringschĂ€tzing des Genitals“ ist beim Mann doch leider nicht gegeben, sondern wĂŒrde er öfter das Hirn einschalten und wir hĂ€tten uns Skandale wie die brasilianische Exkursionen eines VW-Betriebsrates erspart

  9. Miro

    Ich bin ĂŒber „Bildblog“ auf den Text von Katrin Schuster aufmerksam geworden. Weder die Journalistin noch Herr Bönt waren mir bisher ein Begriff. Nun aber fĂŒhle ich mich doch provoziert, Partei zu ergreifen.

    Nun ist – in Zusammenhang mit Bönts Interview – zu lesen: „es gibt innerhalb einer kulturellen Debatte wĂŒrdigere Formen der Auseinandersetzung als eine Gegendarstellung“. Eine Debatte aber ist nur eine Debatte, wenn die Debattierenden gleichwertig zu Wort kommen. Ich habe auf den Seiten von „Berlin Online“ den Beitrag von Katrin Schuster gesucht. Gefunden habe ich ihn nicht.

    ZunĂ€chst: wenn nur noch der Text von Herrn JĂ€hner online wĂ€re, dann wĂ€re dies eine traurige Feigheit der Redaktion. Man solle dem Leser die Wertung der Texte ĂŒberlassen. Wie aber soll dies geschehen, wenn einer der Texte aus dem Netz genommen wird? Gibt es bei der Berliner Zeitung eine redaktionsinterne – nachgelagerte – Zensur? Dies wĂŒrde dem Ansehen der Zeitung sehr schaden. Zumal jener eigentlich keine Angst zu haben brĂ€uchte, der die Argumente auf seiner Seite weiß.

    Sollte Frau Schuster Falsches behauptet haben, sollte man ihr die Möglichkeit der Berichtigung einzelner Aussagen geben. Den Text aber ganz zu löschen, dies entspricht keiner demokratischen Diskussionskultur.

    Oder möchten Herr JĂ€hner und Herr Bönt einer wĂŒrdigen Auseinandersetzung mit der Autorin aus dem Weg gehen?

    @Ralf Bönt

    Trauen Sie Ihren eigenen Thesen? Dann zeigen Sie auch den Mut dazu: setzen Sie sich bitte dafĂŒr ein, dass der Artikel von Frau Schuster wieder verfĂŒgbar ist.

    1. katrin

      Halt, ich muss hier unbedingt etwas richtig stellen: Mein Text stand schlichtweg noch nie online! Die Berliner Zeitung hat ihn nicht nachtrĂ€glich entfernt, von Zensur kann hier keine Rede sein, und auch Herr Bönt hat damit absolut gar nichts zu tun. Das ist schlicht und einfach ein Effekt der ganz ĂŒblichen Zeitungspraxis, dass nicht jeder Artikel online (i.e. kostenlos) zu lesen sein soll.

      Ich habe natĂŒrlich darum gebeten, dass der Text noch online geht, eben wegen der Scherereien, damit sich dann jeder selbst ein Bild machen kann. Und soweit ich bislang weiß, klappt das auch. Nur wann ist eben die Frage, es sind ja Osterferien …

    2. katrin

      Aber danke fĂŒr Deine Bitte an Ralf Bönt, die ich sehr richtig finde, denn eben das wollte ich damit ausdrĂŒcken: dass in einer Debatte doch in jedem Fall beide Seiten zu Wort kommen mĂŒssten bzw. man den Lesern schon die Möglichkeit geben muss, sich selbst ein Bild zu machen.

      Die Polemik meines Textes wird mir bestimmt nicht mehr Freunde machen, und dennoch fĂ€nde ich das die einzig richtige Lösung. Mich wundert es zwar nicht, dass der Autor die juristische der sprachlichen Auseinandersetzung offensichtlich vorzieht – der Stolz darĂŒber, den ich seinen Worten zu entnehmen meine, gruselt mich allerdings ziemlich.

  10. Miro

    Nun noch etwas zum Argumentationsstil Bönts. Denn ich weiß nicht, ob Bönt durch Frau Schuster missverstanden wurde. Beim Lesen des von Bönt geposteten Zitats drĂ€ngt sich mir aber der Verdacht auf, dass der Autor gar nicht zu verstehen ist.

    Bönt schreibt: “Der westliche Mensch versucht eh, nicht sexuell zu sein. Er lebt SexualitĂ€t nicht, er erledigt oder praktiziert sie meist als sanitĂ€re Angelegenheit. Auch das stammt noch aus vormodernen Zeiten. Diderot hat gesagt, die Liebe sei das lĂŒsterne Aneinanderreiben zweier GedĂ€rme, und heute denken wir immer noch so. Das sieht man schon an der GeringschĂ€tzung der Genitalien. Dem Kind bringt man bei, sich die HĂ€nde zu waschen, nachdem es auf dem WC war. Dabei rĂ€t jeder Hygieniker mindestens ebenso zum HĂ€ndewaschen, bevor man sich intim berĂŒhrt.”

    Die Argumentation verknĂŒpft zwei Bereiche: den Bereich der Körperhygiene und den Bereich der SexualitĂ€t. Auf welchen Schluß aber zielt die zitierte Argumentation? Ich weiß es schlicht nicht genau, aber ich möchte eine Interpretation versuchen.

    Ich nehme zunĂ€chst an, SexualitĂ€t als „sanitĂ€re Angelegenheit“ ist pejorativ (im Sinne von „abwertend“) gebraucht. Als Beispiel dient dem Autor wohl jenes Zitat Diderots. Das nachgestellte „heute denken wir immer noch so“ soll wohl das Veraltete in Diderots Denken implizieren. Im Folgenden vertritt Bönt die These einer „GeringschĂ€tzung der Genitalien“ AUCH im heutigen Denken.

    Nun sollte ein Beweis folgen, der aber auf sehr fragwĂŒrdige Weise erfolgt. Bönt meint „dem Kind bringt man bei, sich die HĂ€nde zu waschen, nachdem es auf dem WC war“. Nehmen wir nun also an, Bönt meint dies nicht in jenem Sinne von Schuster und bezieht diese Anmerkung tatsĂ€chlic nicht auf die SexualitĂ€t. Nur: auf was bezieht er diese Anmerkung dann?

    Dass ein Kind sich nach dem WC-Besuch die HĂ€nde wĂ€scht, macht aus Sicht des (von Bönt so genannten) „Hygienikers“ durchaus Sinn. Ich glaube (anders als Schuster) nicht, dass Bönt in dieser Aussage einen Bezug zur SexualitĂ€t sieht. Vielmehr erfolgt der Einschub des HĂ€ndewaschens hier als Beispiel fĂŒr einen hygienischen Akt des SĂ€uberns. Der Bezug zur SexualitĂ€t wird erst durch den folgenden Satz hergestellt: „Dabei rĂ€t jeder Hygieniker mindestens ebenso zum HĂ€ndewaschen, bevor man sich intim berĂŒhrt…“.

    Verstehe ich Bönt hier somit richtig?: möchte er den „intimen BerĂŒhrungen“ – durch den Verweis auf das HĂ€ndewaschen VOR diesen BerĂŒhrungen – die Assoziation des Schmutzigen nehmen? Denn zumindest in der Perspektive des „Hygienikers“ macht das SĂ€ubern vor dem Geschlechtsakt ja Sinn.

    Dies aber wĂŒrde ja bedeuten, dass wir es hier – auf Ebene der Körperhygiene – mit einem POSITIVEN Beispiel von SexualitĂ€t als „sanitĂ€rer Angelegenheit“ zu tun hĂ€tten. Nur servierte Bönt dem Leser aber gerade diese „SexualitĂ€t als sanitĂ€re Angelegenheit“ mit einem eher abwertenden Ton. Als wĂŒrde der westliche Mensch bei Genitalien nur an Schmutz denken und als mĂŒsste jener Mensch sich nur NACH der BerĂŒhrung (dann aber um jeden Preis) sĂ€ubern (als wĂ€re er auf dem WC gewesen).

    Um es anders auszudrĂŒcken: das Problem liegt in der UNGENAUIGKEIT von Bönts Stil! Die zwei Ebenen der Argumentation – gesunde SexualitĂ€t und hygienisch gesundes Verhalten – werden auf eine Art verknĂŒpft, dass sich die Argumentation selbst aushebelt. Denn Bönt wirft dem westlichen Menschen SexualitĂ€t als „sanitĂ€re Angelegenheit“ vor, er wĂ€hlt aber als Gegenargument ein gelungenes Beispiel von SexualitĂ€t als „sanitĂ€re Angelegenheit“. Macht es doch aus hygienischen (und somit auch sanitĂ€ren) GrĂŒnden Sinn, sich vor der intimen BerĂŒhrung die HĂ€nde zu waschen. SexualitĂ€t ist hier auch eine „sanitĂ€re Angelegenheit“.

    Was also soll an „SexualitĂ€t als sanitĂ€re Angelegenheit“ falsch sein? Zumindest, wenn damit gemeint ist: man verhĂ€lt sich – aus GrĂŒnden der Gesundheit – bei der SexualitĂ€t hygienisch?

    Bönt argumentiert somit Ă€ußerst ungenau. Er provoziert mit einem Begriff, ohne zu merken, dass er seine Provokation selbst widerlegt. Auch am Beispiel des Interviews lĂ€sst sich diese Ungenauigkeit nachweisen. Zitat der GesprĂ€chsfrequenz:

    „Gewalt gegen MĂ€nner findet auch im Straßenverkehr statt.

    Ja, weil MĂ€nner mehr rasen.

    Wussten Sie, dass einem Radfahrer in der Stadt eine PerĂŒcke mit langen Haaren sehr viel mehr nĂŒtzt als ein Helm?…“

    Bönt hat Recht, wenn er hinter diesem „PerĂŒckeneffekt“ „Gewalt gegen MĂ€nner im Straßenverkehr“ vermutet, denn man scheint gegenĂŒber Frauen rĂŒcksichtsvoller (obwohl auch MĂ€nner diese RĂŒcksicht verdienen). Nur: dass dieser Effekt beobachtbar ist, Ă€ndert dennoch nichts an der Tatsache, dass MĂ€nner „mehr rasen“. Auch geht diese Gewalt ja teils (aber nicht ausschließlich) von den MĂ€nnern selbst aus. Das Vergehen findet ja gerade dadurch statt, dass die Fahrteilnehmer oder Fahrteilnehmerinnen ansonsten KEINE RĂŒcksicht nehmen. Selbst, wenn stereotypes Denken hinter diesem Verhalten steht: dennoch lĂ€sst dies noch keine RĂŒckschlĂŒsse ĂŒber die Ursachen der Gewalt oder ĂŒber die Schuldfrage zu.

    Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: wenn ein Mann gegenĂŒber einer Frau in einer Situation Hemmungen hat, Gewalt auszuĂŒben, er sich in einer vergleichbaren Situation aber auf eine SchlĂ€gerei mit einem Mann einlĂ€sst: ist dies dann eine Gewalt „gegen MĂ€nner“, die man der Frau anlasten möchte? Beruht diese Gewalt auf einem Geschlechterstereotyp? Anhand der ersten Handlung (der Mann geht nicht gegen die Frau „vor“) kann man zwar eine geschlechtsstereotype Verhaltensweise analysieren. Jedoch erklĂ€rt dieses Stereotyp noch nicht die Ursachen fĂŒr die Gewalt in der zweiten Handlung („Mann gegen Mann“).

    Übrigens: Rasen und Alkohol im Straßenverkehr ist oft eine der folgenreichsten GefĂ€hrtungen, denn gerade durch Rasen und Alkohol kommt es auch hĂ€ufig zu tödlichen UnfĂ€llen.Und statistisch bewiesen ist die Tatsache, dass MĂ€nner eher verkehrsdelinquentes Verhalten zeigen und somit zugleich eher tödliche UnfĂ€lle auslösen aufgrund von Risikoverhalten. Zwar geht ein Mann vielleicht eher vom Gas, wenn er eine weibliche Radfahrerin sieht, was tatsĂ€chlich etwas ĂŒber Rollenstereotype aussagt. Dies Ă€ndert aber nichts an der Tatsache, dass MĂ€nner – im statistischen Trend – eher zum Rasen neigen und somit eine grĂ¶ĂŸere GefĂ€hrtung anderer in Kauf nehmen. Und MĂ€nner sind auch hĂ€ufiger Verursacher tödlicher UnfĂ€lle durch Risikoverhalten.

    Zwar: Auch Frauen können rĂŒcksichtslos fahren und tödliche UnfĂ€lle auslösen. Sie tun dies aber nicht so hĂ€ufig wie MĂ€nner. Somit ist Bönts Argument der PerĂŒcke, bezogen auf „Rasen“ im Straßenverkehr, ein Scheinargument.

    Die Opfer dieses risikovollen Fahrens sind ĂŒbrigens geschlechtsunspezifisch. Denn tödliche UnfĂ€lle werden (auch, wenn sie durch Rasen oder Alkohol an Steuer ausgelöst werden) ja nicht nach dem Geschlecht geplant.

    Zuletzt zur Zugmetapher: der Therapeut Freud hĂ€tte sich sicher ĂŒber eine derartige Metapher gefreut, wenn es ums EntschlĂŒsseln von Trauminhalten geht. Wenn es ums Anschaulichmachen von ZusammenhĂ€ngen geht, hĂ€tte Literaturkenner und Stilist Freud aber wohl von einer solchen Metapher abgeraten 🙂

  11. Miro

    Wenn mir ein (kĂŒrzerer) Nachtrag erlaubt sei: Ich habe mich nun in die Online verfĂŒgbaren Texte Bönts eingelesen. Und es gibt durchaus Anliegen, bei denen ich mit Bönts Engagement ĂŒbereinstimme. Wenn er die Probleme von VĂ€tern schreibt, bei Trennung von der Ehefrau die elterlichten Rechte wahrzunehmen, wenn er von Problemen mĂ€nnlicher Erzieher schreibt oder wenn er sich dafĂŒr einsetzt, dass MĂ€nner mit ihren Kindern zuhaus bleiben: all dies all dies halte ich fĂŒr wichtig und wertvoll. Problematisch wird es nur, wenn Bönt gesellschaftliche MißstĂ€nde, die durch viele Faktoren (ökonomische und soziale Faktoren usw.) beeinflusst sind, allein auf die Geschlechtsstereotype zurĂŒckfĂŒhrt. Dann fĂŒhrt seine Argumentationsstil zu Halbwahrheiten und ist – leider – durchaus mit denen von Feministinnen der „harten“ Linie a la Schwarzer zu vergleichen.

    Nehmen wir das Beispiel des Manns als FunktionstrĂ€ger und „Werkzeug“. Es ist ja nicht so, dass Frauen in der Arbeitswelt vor einer solchen Funktionalisierung und Reduzierung der eigenen Person auf ökonomische Interessen verschont blieben. Jeder kann dies beobachten, wenn er sich den Arbeitsalltag von nicht wenigen Frauen im Einzelhandel und in Pflegeberufen anschaut.

    Nun hatte die Absicherung des Sozialstaats ja den positiven Effekt, dass Aufgaben von Eltern unter besonderem Schutz standen. Bisher gab es jedoch durchaus das Problem, dass aufgrund von Rollenstereotypen MĂ€nner kaum den Erziehungsurlaub in Anspruch nahmen und dieser Schutz eher ein Schutz dedr Mutterschaft war. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan, um auch MĂ€nnern das Zuhausebleiben mit ihren Kindern schmackhaft zu machen.

    Ich möchte nun nichtr auf das Problem eingehen, dass das Inanspruchnehmen dieses Rechts fĂŒr beide Eltern bisher noch ein soziales Problem darstellt: Insbesondere bei niedrigen Einkommen MUSS oft jenes Elternteil zuhause bleiben, das weniger verdient. Wichtiger ist eine andere Beobachtung: In Zeiten, in denen Rollenstereotype dazu fĂŒhrten, dass fast nur MĂŒtter zuhause blieben, erschwerte das Problem der erwarteten Mutterschaft bei einer jungen Frau hĂ€ufig den Berufseinstieg (und dies ist auch heutzutage oft noch der Fall). Hinzu kommt das Problem der hĂ€ufigeren Erkrankung kleinerer Kinder usw. Durch die Kinder liesen sich die Frauen somit gerade nicht in jener Weise funktionalisieren wie die MĂ€nner. Dies aber lag (und liegt) nicht an einem MĂ€nnerbild, welches nur Lleistung von den MĂ€nnern fordert. In LĂ€ndern, in denen der Sozialstaat weniger ausgebildet ist, werden Frauen oft ebenso funktionalisiert (und auch ausgebeutet) wie MĂ€nner (man denke nur an die Textilindustrie).

    Geschlechterstereotype spielen – als Faktor – bei gewissen MisstĂ€nden durchaus eine Rolle, und man sollte diese Rolle und den Einfluß dieser Stereotype untersuchen. Dies bedeutet aber nicht, MißstĂ€nde NUR ĂŒber diese Stereotype zu erklĂ€ren. Vielmehr mĂŒssen viele Faktoren in ihrem Zusammenwirken analysiert werden.

    Diese Analyse aber leisten die Schriften Bönts leider nicht, denn zu hĂ€ufig verlĂ€ĂŸt er sich auf Halbwahrheiten, indem er komplexe ZusammenhĂ€nge ausblendet.

    1. katrin

      NachtrĂ€ge sind immer erlaubt, vor allem in dieser GrĂŒndlichkeit!

      Ich habe auch nicht das Thema des Buchs an sich kritisiert – im Gegenteil hatte ich mich, wie oben bereits erwĂ€hnt, darauf gefreut, da ich eine intelligente, kritische und komplexe Sichtung der MĂ€nnerrolle fĂŒr unbedingt notwendig halte (auch hinsichtlich der Dinge, die Sie erwĂ€hnen). Davon allerdings ist dieses Buch himmelweit entfernt: Meiner Meinung nach verwechselt der Autor sich selbst mit dem Thema, und deshalb stehen da ‚Argumente‘, die man kaum mehr nachvollziehen kann (und ich also polemisch verarbeitet habe).

  12. Stefanie

    Einen herzlichen Dank an Frau Schuster fĂŒr die Rezension und ihren, hier im Nachgang demonstrierten, aufrechten Diskussionsstil nach dem Motto „Ich bin ok – du bist ok“. Daran können sich viele ein Beispiel nehmen. Denn, egal welche Meinung man im konkreten Fall vertritt, fĂŒhrt dieser Konflikt, sofern man sachlich bleibt, zu einem Zugewinn.

    1. katrin

      Mein Dank gilt vor allem meinen LeserInnen! TatsĂ€chlich finde ich alle BeitrĂ€ge hier wirklich bereichernd. Mich freut es außerordentlich, dass die Diskussion weitgehend sachlich verlĂ€uft und sich viele so ernsthaft mit meinem Anliegen auseinandersetzen.

  13. katrin

    Was ich die ganze Zeit schon mal sagen wollte: Ich verschicke meine nicht-online stehende Besprechung natĂŒrlich gerne per PM. Kurze Nachricht an info[AT]katrinschuster.de genĂŒgt, dann macht sie sich auf den Weg zu Euch.

  14. Juliane

    Relativ unbeachtet gab es in den letzten Jahren gottseidank auch mĂ€nnliche Autoren, die sich eindeutig zur Gleichberechtigung bekennen: Peter Redvoort etwa mit seinem Lyrikband „Die Söhne Egalias“ – oder Peter Jedlicka mit der soziologischen Analyse „Gender Balance“.

    Auch ĂŒber solche BĂŒcher sollte als Gegenpol zu Bönt geschrieben und diskutiert werden …

    J. Siebert

  15. Karl

    Ich mĂŒhe mich hier seit ein paar Stunden mit Bönts Text ab. Meine spontane Reaktion: Etwas eitel, viel Geschwurbel und entweder verstehe ich seinen Humor nicht oder er hat keinen. Und dennoch kommt mir bei lĂ€ngerem Nachdenken das GefĂŒhl, ich könnte auf mein Bild von lesbarer mĂ€nnlicher Selbst- und Lebensbeschreibung hereinfallen. Vielleicht ist Bönts Stream-of-Consciousness-Blog-Text eine wichtige, aber ungewohnte Art, mĂ€nnliches Erleben auszudrĂŒcken.

    Und Ihre fĂŒr mich (und jeden ernsthaften Germanisten) wirklich eindeutige Fehlinterpretation der Bönt’schen Metapher bestĂ€tigt leider den Tenor seines Textes. Ich glaube kaum, dass Charlotte Roche jemals in die Gefahr kĂ€me, öffentlich derartig falsch verstanden zu werden.

    1. katrin

      Meinen Sie mit „Metapher“ die Sache mit dem Zug? Dann muss ich zweierlei dazu sagen: Da Sie das Buch gerade lesen und auch hier hoffentlich die Diskussion verfolgt haben, hĂ€tten Sie eigentlich mitbekommen können, dass nicht ich den Zug und den Tunnel als sexuelle Metapher interpretiert habe, sondern diese Metapher (als solche) vom Autor selbst stammt.

      Meinetwegen, auch das habe ich bereits gesagt, können wir ĂŒber die Interpretation der Textstelle verschiedener Meinung sein. Doch nicht nur Ihr missglĂŒckter Gebrauch des germanistischen Vokabulars macht mich stutzig, ob Sie sich in Ihrer Selbstbeschreibung/Eingemeindung nicht ĂŒberschĂ€tzen: Einem ernsthaften Germanisten sollte eigentlich bekannt sein, dass Sprache alles andere als eindeutig ist. Sonst brĂ€uchte es diese Wissenschaft nĂ€mlich gar nicht.

      1. Karl

        Zur Eindeutigkeit der Metapher haben ja schon einige meiner Vorposter Stellung genommen. Und ein RĂŒckzug auf ad-hominem-Rhetorik und verquasten Strukturalismus scheint mir, mit Verlaub, typisch fĂŒr Ihre ArgumentationsfĂŒhrung. Echt feministisch wĂ€re, einfach zuzugeben: Ich habe Mist gebaut. Das gehört nĂ€mlich zu den unverzichtbaren ‚mĂ€nnlichen‘ Tugenden, ĂŒber die Bönt leider zu wenig schreibt.

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