Medienprofis
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Gerade ist die BILD-Zeitung wieder in aller Munde. Wer sich selbst einen Eindruck von dem Berufsverständnis der dort angestellten Textproduzenten machen will, dem empfehle ich die aktuelle Folge der Castingshow „Germany´s Next Topmodel“. Denn darin treffen die verbliebenen Kandidatinnen erstmals und zudem völlig unvorbereitet auf „die Presse“ in Form von ein paar sogenannten Journalisten. Frank Siering von der Bild am Sonntag stellt der 21-jährigen Kandidatin Dominique Miller die Frage (schon das Duzen finde ich unverschämt):

Dominique, jetzt versetz dich doch mal für ne Sekunde in die Jury. Du bist jetzt mal Jurymitglied. Jetzt stell dir mal die Frage: Wer nimmt das hier eigentlich nicht so richtig ernst? Du bist ja mit sehr viel Ernst, das spürt man, dabei.

Die Anforderung ist klar: Miller soll eine Kollegin denunzieren. Und diese Anforderung versteht sie offensichtlich auch genau richtig, denn sie sagt: „Möchte ich nicht beantworten.“ Frank Siering lässt sich damit allerdings nicht abspeisen, deshalb versucht er es im Konjunktiv (als änderte das etwas daran): „Aber wenn Du es jetzt mal beantworten müsstest.“ Darauf Dominique Miller, im Indikativ: „Muss ich aber nicht. Also, ich gebe Ihnen darauf keine Antwort, ich muss die Frage nicht beantworten.“ Ästhetisch (bedrohlich langsamer Geigensound, Slow-Mo) ist die Sache eindeutig: Diese Kandidatin begeht gerade einen riesengroßen Fehler.

Am Ende der Szene sieht man noch einmal Frank Siering, der zu ihr sagt: „Vielleicht, kurz bevor Du uns verlässt, ein kleiner Ratschlag. Auch als Model muss man ein richtiger Medienprofi sein und muss man auch mal unangenehme Fragen beantworten. Das wäre vielleicht ein kleiner Ratschlag für Dich.“ Es folgt ein Statement von Frank Siering, das im Anschluss aufgezeichnet wurde (quasi hinter der Kamera, was natürlich paradox ist): „Sie stand halt einfach da und wollte gar nichts sagen. Und das kommt nicht so besonders gut rüber, das hinterlässt einfach einen bitteren Beigeschmack.“ Es folgt Heidi Klum: „Dominique war heute sehr schlecht in meinen Augen. Die war so ein bisschen motzig, von oben herab. Sie war nicht natürlich und nett, wie sie normalerweise ist.“

Bei der „Entscheidung“ kommt der Dialog zwischen Dominque Miller und Frank Siering noch einmal, diesmal unmissverständlich historisierend inszeniert mit Hall und womöglich irgendeinem Filter; zwei Mittel, die – wenn ich mich recht erinnere – auch gebraucht werden, wenn Kandidatinnen ausscheiden.

Dazu ist Folgendes festzustellen: Kein Mensch muss oder „müsste“ unangenehme Fragen beantworten, wenn er das nicht will; Handlungsfreiheit ist vielmehr ein Menschenrecht und als solches im Grundgesetz verankert. Dass ausgerechnet Zeitungsredakteure in einer der quotenstärksten Sendungen des Landes das Gegenteil als Medienprofessionalität vorstellen, hinterlässt mehr als nur einen bitteren Nachgeschmack. Und mein Verständnis dafür, dass drei investigative Journalisten damit nicht in einen Topf geworfen werden möchten, wächst beträchtlich.

14 Kommentare

  1. Ich kann die Kritik nicht ganz nachvollziehen; Dominique hat nicht nur diese Frage nicht beantwortet, sondern auch keine der übrigen Fragen. Und was ist der Sinn einer Pressekonferenz wenn man keine Fragen beantworten will? Ist die Frage gemein gewesen? Ja, weil sie darauf abzielt, schlecht über eine Kollegin zu reden. Aber die Frage ist nicht illegitim und man kann ihr leicht ausweichen und z.B. sagen „Wir sind nur noch zehn Mädchen – wir nehmen das alle sehr ernst, sonst wären wir nicht mehr hier.“ Es gehört zum Beruf solche Fragen zu beantworten – und zwar so, dass man sich nicht aufs Glatteis führen lässt, auch nicht von einem Bild-Journalisten!

    1. katrin

      Aber woher weißt Du, dass diese Kandidatin keine der übrigen Fragen beantwortet hat? Das behauptet nicht einmal GNTM selbst. Ich nehme im Gegenteil an, dass sie alle übrigen Fragen durchaus beantwortet hat, andernfalls hätte es sich der Regisseur kaum nehmen lassen, auch diese Verweigerungsszenen allesamt zu zeigen und mit Geigensound zu unterlegen.

      Zum Anderen: Die Frage an sich ist natürlich nicht illegitim – jeder darf fragen, was er möchte. Was mich allerdings zutiefst befremdet, ist die Behauptung, dass Medienprofessionalität bedeute, unangenehme Fragen zu beantworten. Ich jedenfalls verstehe unter einem Medienprofi etwas anderes. Dass eine 21-Jährige solch überlegte Sätze, wie du vorschlägst, nicht in petto hat, war absolut erwartbar; meiner Meinung nach zielte diese Inszenierung einer „Pressekonferenz“ – keine der Kandidatinnen wusste im Übrigen, dass es sich um eine solche handelte – sogar genau darauf: Wenn man den Kandidatinnen ernsthaft den Umgang mit der Presse hätte beibringen wollen, hätte man das einfach tun können (in einem Vortrag, Seminar, Teaching oder whatever); stattdessen wurde es absichtsvoll unterlassen, um genau solche Reaktionen wie jene von Dominique Miller zu provozieren, die man dann als ‚Fehlverhalten‘ brandmarken kann.

      Kurz gesagt: Der „Ratschlag“, auch unangenehme Fragen zu beantworten, wenn man etwas werden will, ist kein guter, sondern der denkbar schlechteste Rat für eine 21-Jährige. Denn er ist nicht in ihrem Sinne, sondern einzig und allein im Sinne der Bild-Zeitung. Und gleichsam nebenbei enthüllen diese Sätze, dass die Arbeit der Bild und die Menschenrechte einander offenbar widersprechen.

      1. Ich habe die Sendung gesehen und es gab meiner Erinnerung nach drei Fragen, die alle nicht beantwortet wurden. Es kann natürlich sein, dass das tendenziös geschnitten war, aber da ich das Rohmaterial nicht kenne, kann ich das nicht beurteilen.

        Auch bei Medientrainings ist es ja nicht unüblich, die Teilnehmer zuerst „ins kalte Wasser“ zu schmeißen um zu sehen, wie sie sich „schlagen“. Das „Unvorbereitetsein“ finde ich deswegen nicht schlimm. Außerdem: alle Mädchen hatten die gleichen Voraussetzungen und waren genau so gut oder schlecht vorbereitet. Manche haben sich dabei gut geschlagen, andere – wie Dominique – nicht so gut.

        Ich habe die Pressebegegnung übrigens auch eher als „Training“ gesehen denn als „Ernstfall“. Der „Ernstfall“ ist ja die Metaebene, also das, worüber wir gerade sprechen: die mediale Diskussion über die Performance der Mädchen auf dem Bildschirm.

        Und da müsste meiner Ansicht nach die Kritik ansetzen, nicht an einzelnen Medien wie der „Bild“: an der Verquickung von Medien, Unterhaltung, Kommerz und echten Berufschancen, die bei Sendungen wie GNTM stattfindet. Was davon ist inszeniert, was ist real? Und welches Bild über die Erwartungen der Gesellschaft an junge Frauen wird eigentlich durch GNTM gefördert? Laurie Penny hat dazu ein gutes Buch über „weiblichen Fleisch als sexuelles und soziales Kapital“ geschrieben: http://www.edition-nautilus.de/programm/politik/buch-978-3-89401-755-2.html

        1. katrin

          Man kann sich die Sendung auf der Pro-Sieben-Website auch immer noch ansehen: Es gab zwei Fragen, die sie nicht selbst beantworten wollte, und nach der ersten sieht man deutlich, dass die Fragende das Mikro nach hinten an eine andere Frau weitergibt, deren Frage und damit auch Millers Antwort darauf man aber nicht zu sehen bekommt.

          Deine Frage „Und welches Bild über die Erwartungen der Gesellschaft an junge Frauen wird eigentlich durch GNTM gefördert?“ wollte ich eben ansatzweise beantworten: Die Gesellschaft erwartet laut Bild von den jungen Frauen, dass sie auch unangenehme Fragen beantworten.

          Eine generelle Analyse, wie Du sie forderst, ist tatsächlich eher etwas für ein Buch (danke für den Tipp!) und in einem kurzen Blog-Eintrag absolut nicht zu leisten.

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  3. Erna

    Zwar tue ich mir dieses Machwerk nicht an, aber ich finde es lustig, wie du verkennst, dass die Sendung natürlich geschnitten wird. Du bekommst genau das zu sehen, was du sehen sollst.

  4. Geschnitten und Bild-Zeitung hin oder her, es geht hier ja um die Frage, was ein ‚Medienprofi‘ sein soll. Klar, man könnte sich überlegen, ob es überhaupt sinnvoll ist, sich die Meinungen in solchen Shows überhaupt anzuschauen, andererseits: Wenn es so viele Leute gucken (trotz fallender Quoten), ist es doch wieder relevant. Und was hier als ‚Ideal‘ gezeichnet wird, ist eben schlicht verwerflich. Das zu sagen, finde ich nicht überflüssig.
    Wobei der Übertrag auf den abgelehnten Preis nicht ganz direkt funktioniert, es sind ja verschiedene Teilbereiche (Unterhaltung + Politik), um die es geht (auch wenn man vielleicht von ähnlichen Methoden sprechen kann).

    1. katrin

      Ja, mit dem Übertrag hast du womöglich recht, deswegen habe ich auch versucht, das möglichst subjektiv auszudrücken. Allerdings meinte die Ablehnung schon die Methoden der Bildredakteure bei der Ausübung ihres Berufs, und dafür gibt Siering meiner Meinung nach ein gutes (also furchtbares) Beispiel ab.

  5. Es geht doch wohl eher darum, daß man einer klaren Antwort auf die Frage charmanter ausweichen kann, wie der erste Kommentator Daniel bemerkt hat. (Habe die Sendung allerdings nicht gesehen, werde ich mal kurz nachholen.)

    1. katrin

      Natürlich „kann man“ das. Mir geht es auch weniger darum, was diese Kandidatin nun getan oder unterlassen hat, sondern darum, dass in dieser Folge ein Journalist als Autorität vorgestellt wird, der behauptet, ein Model sei gleichsam verpflichtet, auch unangenehme Fragen zu beantworten. Dazu sage ich eben: Nein, lieber Redakteur, da liegst du falsch, das ist sie nicht, auch wenn es die Bild offenbar gerne so hätte.

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