Ein Toter namens Meier
Ein Toter namens Meier

Ein Toter namens Meier

James O. Incandenza zum Beispiel. Oder Serge Karrefax. Nicht zu vergessen Theodor Leudoldt. Ganz zu schweigen von Leopold Bloom, Adrian Leverkühn, Wilhelm Meister und so weiter, um nur die einprägsamsten zu nennen. Oder anders gesagt: Jede Figur eines Romans muss einen Namen haben, in dem sich das Werk auf die eine oder andere Weise verdichtet. Einen, genau, sogenannten „sprechenden“ Namen. Da das nicht nur für die Protagonisten, sondern üblicherweise auch für den Rest des Personals gilt, wundert man sich doch, wenn ein Toter in einem Krimi „Christian Meier“ heißt. Nichts gegen fade Namen (ich trage selbst einen solchen), schließlich sind die kaum weniger gut lesbar. Ich würde den Namen „Christian Meier“ also als Hinweis verstehen, dass hier ein Durchschnittsmensch in jedem Sinn gestorben ist, quasi die männliche Version von Erika Mustermann.

Und damit liege ich damit offensichtlich gründlich daneben. Denn der tote Christian Meier aus dem Krimi „Der Sturm“ eines Autors namens Per Johansson sieht laut Bericht von Richard Kämmerlings in der Welt offenbar dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher verblüffend ähnlich. Und als sich Kämmerlings deshalb fragte, wer denn eigentlich dieser Per Johansson ist, merkte er bald: Den gibt es gar nicht. Genauso wenig wie die angebliche schwedische Übersetzerin. Und da reifte in ihm langsam der Verdacht, wer da seine Feder im Spiel haben könnte. Kurz gesagt: Kämmerlings verdächtigt den ehemaligen FAZ-Redakteur und heutigen SZ-Feuilleton-Chef Thomas Steinfeld, mindestens Co-Autor des Krimis „Der Sturm“ zu sein. Der S. Fischer Verlag hat mittlerweile eingeräumt, „das Spiel mit der Anonymität übertrieben zu haben“, wie es auf Welt Online heißt. Auf der Website des Verlags findet sich dennoch weiterhin ein Foto von Per Johansson, der zugegebenerweise nicht existiert, sowie eine Biografie, die durch ihre Buhlerei um Hipness natürlich ins Auge sticht, wenn man weiß, dass sie von A bis Z erfunden ist:

Per Johansson wurde 1962 in Malmö geboren und wuchs in der Nähe von Osby auf. Er studierte Elektrotechnik in Stockholm und arbeitete mehrere Jahre im Anlagenbau, bevor er Anfang der neunziger Jahre nach Berlin ging, um seinen künstlerischen Interessen nachzugehen: der Fotografie und dem Kurzfilm. Daneben baute er eine Firma auf, die sich hauptsächlich mit der Entwicklung von Homepages für Künstler und künstlerische Organisationen beschäftigt. Per Johansson lebt heute in Berlin und in der Nähe von Osby, wo er einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet. „Der Sturm“ ist sein erster Roman.

Ein Schwede in Berlin, der was mit Internet macht und Krimis schreibt: Da ist wirklich alles drin, was in ist (oder dafür gehalten wird). Dass für diesen Krimi mit zwei Zitaten berühmter Autoren geworben wird –

„Stark. Einzigartig und unterhaltsam. Dicht liegt das Geheimnis über diesem Kriminalroman wie der Herbstnebel über den schwedischen Wäldern.“ Håkan Nesser

„Der beste und intelligenteste Kriminalroman, den ich seit langer Zeit gelesen habe.“ Orhan Pamuk

– wirft kein besseres Licht auf das Geschäft mit der Literatur. Jenseits des „Kultur-Kampfs“, den Spiegel Online (wer auch sonst?) aus der Kämmerlings-Entdeckung machen will, bedeutet es einiges über den – ohje – Zustand des nicht nur deutschen Buchmarkts. Solche Zitate sind mittlerweile üblich und bei Verlagen, so zumindest mein Gefühl, deutlich beliebter als Zitate von Kritikern, die in Deutschland zwar zu viel loben, aber meist eben verschwurbelter als mit Superlativen und Adjektiven wie „einzigartig“ und „unterhaltsam“. Sowohl das Pamuk- als auch das Nesser-Zitat, so meine Vermutung, stammen nicht aus deren Feder oder Mund, sondern aus dem Kopf eines Mitglieds der Fischer-Presseabteilung, die sich das dann vom jeweiligen Autor ‚abzeichnen‘ lässt. Ist im Grunde auch gleichgültig, wie dieser Vorgang von statten geht, denn ich halte die Grenze zwischen Kunst und Marketing in jedem Fall überschritten: Autoren sollten meiner Meinung nach nicht für ihren Verlag Werbung machen (müssen). Das wird nämlich irgendwann peinlich – zum Beispiel, wenn Orhan Pamuk ein vermutlich eher belangloses Buch als bestes und intelligentestes lobt, das er seit langer Zeit gelesen hat.

Und was den toten Christian Meier betrifft: Sollte dahinter wirklich die SZ in welcher Form auch immer stecken, dann muss ich ein weiteres Mal der FAZ den Sieg zusprechen. Ich lese die Süddeutsche als Münchnerin und also quasi Pflicht-Abonnentin natürlich deutlich öfter als die FAZ, aber so gerne wie früher lese ich sie nicht mehr, weil ihr, gerade in meinem Stammressort, dem Feuilleton, irgendwie die Ideen fehlen. Den Kulturteil in digitalen Zeiten bekommen sowohl die FAZ als auch Der Freitag (disclosure: für den ich viel schreibe) meiner Meinung nach um einiges besser hin. Wenn „Der Sturm“ also die Antwort auf das Mehr an Inspiration in Frankfurt und Berlin sein soll, dann hätte die FAZ schon wieder gewonnen, denn ein „Christian Meier“, der einem Frank Schirrmacher wie aus dem Gesicht geschnitten ist, zeugt wahrlich von einem ziemlich großen lack of fantasy and inspiration. Und sollte es Schirrmachers eigene Idee gewesen sein, sich selbst literarisch um die Ecke zu bringen und den Verdacht auf die Konkurrenz zu lenken, dann bekäme er von mir sogar die doppelte Punktzahl.

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