Küsschen des Grauens
Küsschen des Grauens

Küsschen des Grauens

Die Kunstgattung, von der ich am wenigsten, ja, im Grunde und ehrlich gesagt gar nichts verstehe, ist die Musik. Da kenne ich mich einfach überhaupt nicht aus und kann folglich auch nie mitreden, wenn die Namen der neuesten Bands so leichthändig wie kennerisch hin und her geworfen werden. Nur ein bisschen besser sieht es in Sachen Kino aus. De facto gibt es bloß einen Namen, der mich alle Hebel in Bewegung setzen lässt, um seinen neuesten Film auf einer ordentlichen Leinwand zu sehen, und das ist Darren Aronofsky. Was der macht, verstehe ich und finde ich im besten Sinn des Wortes großes Kino; schon der Gedanke an „Requiem for a dream“ oder „The Fountain“ macht mich glücklich schaudern. Bei einigen anderen RegisseurInnen denke ich: Hm, müsstest du dir eigentlich angucken, aber dann vergesse ich es irgendwie – was wohl aussagekräftig genug ist.

Das nur vorweg, um dem jetzt Folgenden im Vorfeld die peinliche Schärfe zu nehmen: Eines der Kinoerlebnisse, an die ich mich am besten erinnere, ist „Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt“ (deshalb der Vorspann, der beweisen soll, dass ich keinen ganz grottigen Geschmack habe). Das lag nicht an dem Film selbst (den fand ich damals ziemlich unerträglich), sondern an einer jungen Frau, die in der Reihe hinter uns saß. Schon in den ersten Minuten klingelte ihr Telefon. Da ahnte man, dass sie eine ganz andere Zuschauerin sein würde, denn sie grabbelte nicht verschämt nach dem Handy, um es stumm zu schalten, sondern um abzuheben und ins Telefon zu zischen: „Ich bin im Kiinooo!“ – „Im Kiiiiiiinooooo!“ Diese ‚Entfremdung‘ setzte sich auch während des Films fort. Machte eine Figur ein lächelndes Gesicht, hörte man von hinten ein leises Giggeln; und guckte eine traurig, ertönte ein mitleidig lautes „Oh!“.

Ich würde (wenn ich es nur hätte) viel Geld verwetten, dass diese Frau heute ein großer Fan der Autorin Nele Neuhaus ist, denn Neuhaus verwechselt das Erzählen von Geschichten ebenfalls mit der Aneinanderreihung von Geschmacksverstärkern, die noch dazu gerne diejenigen Klischees bedienen, die in der Schublade mit der Aufschrift „dumpf“ zu finden sind. Ich mag hier gar keine Aufzählung beginnen, denn sonst schreibe ich mich nur wieder in Rage, weil ich wirklich mit nichts schlechter umgehen kann als mit Texten, die ich für dumm halte und die meiner Meinung nach unverkennbar bösartige Züge tragen. Das mögen die AutorInnen alle gar nicht so meinen, das weiß ich schon. Aber es steht nunmal in ihren Büchern, und als Literaturkritikerin kann und muss mir herzlich egal sein, was der Autor ‚eigentlich‘ sagen wollte. Denn ich lese ja, was er geschrieben hat. Und auf der literarischen Brennsuppn, wie man hierzulande sagt, bin ich eben auch nicht dahergschwommen.

Nun versuche ich also gerade, mein Neuhaus-Trauma zu überwinden, da kommt ein Plagiatsskandal daher, der mich weder überrascht noch zur Verteidigung des Urheberrechts ansetzen lässt und mich erneut mitten in die Abgründe der deutschen Buchproduktion stürzt. Martina Gercke, eine Autorin die sich als Selfpublisherin von seichten E-Books einen Namen machte und dann bei einem Verlag unterkam, der all das auch noch druckte (verkauft sich schließlich!), soll von der deutschen Übersetzung eines anderen sog. „Frauenromans“ abgeschrieben haben. Offenbar hatten Amazon-KommentatorInnen zuerst auf die verblüffenden Parallelen aufmerksam gemacht, mittlerweile liegt ein PDF mit Vergleichsstellen vor. Und das hat es wirklich in sich. Nur ein Auszug:

Martina Gercke: Holunderküsschenmvg Verlag, München 2012 Sophie Kinsella: Sag’s nicht weiter, LieblingWilhelm Goldmann Verlag, München 2004
(2) S. 15  Zufrieden betrachte ich mein Spiegelbild im Fenster. Ja, ich sehe aus wie eine klassische Businessfrau. Meine Haare […] sind sorgfältig glatt geföhnt, ich trage dezente Perlenohrringe und eines dieser typischen, schmal geschnittenen Kostüme […]. S. 9  […] und wenn ich mein Spiegelbild so im Fenster betrachte, sehe ich doch wirklich aus wie eine Top-Businessfrau. Meine Haare sind glattgeföhnt, ich trage dezente Ohrringe […] und das raffinierte neue Jigsaw-Kostüm.
(3) S. 21 f.  Zu allem Überfluss ist mein Haar, das ich heute Morgen so sorgsam glatt geföhnt hatte, ganz kraus. Typisch! S. 17  Zu allem Überfluss ist mein Haar, das ich heute Morgen so sorgsam glatt gegelt habe, ganz kraus. Typisch.

 

Wolfgang Tischer von literaturcafe.de hat die Autorin noch im Juli dieses Jahres über ihren Erfolg befragt („Wie man einen Bestseller ohne Verlag schreibt“). Anfang Dezember, als die Beschwerden über die Dopplungen lauter wurden, fühlte er sich offenbar ein bisschen verpflichtet, die Sache zu kommentieren. Er beginnt:

Die deutsche Selfpublisher-Szene scheint ihren Skandal zu haben, der obendrein noch alle Vorurteile über Selbstverleger zu bestätigen scheint.

Das finde ich allerdings eine falsche Behauptung bzw. die übliche Eröffnung der üblichen Fantasie vom Grabenkampf, da Amazon bekanntermaßen über keine derartigen Kontrollmechanismen verfügt (obwohl das vermutlich keine allzu schwierige Angelegenheit darstellte für ein Unternehmen, das Unmengen digitalisierter Inhalte speichert und also auch vergleichen können müsste). Hier ist schließlich ein Verlag gescheitert; eines jener Unternehmen also, die sich stets und immer wieder ihrer lektorischen Qualitätsarbeit rühmen. Der Random-House-Justitiar Rainer Dresen bedankt sich im Interview mit buchmarkt.de sogar ausdrücklich bei „dem Netz“ für die Aufklärung:

Das Ermutigende an dem Fall ist doch: Über den Vorgang wurden wir aus dem Netz, von Leserinnen beider Bücher, informiert.

Tischer jedenfalls, der den Fall später als seinen „schlimmsten Irrtum“ in dem Jahr 2012 bezeichnete, scheint in seinem Kommentar ehrlich konsterniert zu sein:

Dass Martina Gercke abgekupfert haben soll, scheint mir nach wie vor unvorstellbar. Ich habe eine nette, offene und kluge Gesprächspartnerin erlebt, die selbst nach wie vor vom eigenen Erfolg überrascht zu sein schien. Ganz offen hat sie gestanden, dass sie negative Kritik sehr heftig trifft.

Dass er, wie er kurz vor diesen Sätzen zugibt, das Buch gar nicht gelesen hat, finde ich zwar mehr als merkwürdig, ja, richtiggehend unseriös. Dennoch liegt er vermutlich völlig richtig mit seiner Einschätzung. Ich kann mir gut vorstellen, dass Martina Gercke tatsächlich nicht wusste, was sie da tat (was sie, klar, nicht vor Strafe schützt). Nicht nur, weil ich andauernd mitbekomme, welch geringe Kenntnis viele Menschen vom Urheberrecht haben („das Foto ist aus dem Internet, das darf man ja nehmen“). Sondern auch, weil all diese Sätze, die sich im einen wie anderen Buch finden, selbst auf eine gewisse Art Plagiate sind. Abgeschrieben von den viel zu vielen Hirnlosigkeiten, die in den viel zu vielen Klischeeschubladen lagern.

Ich habe es leider nicht gezählt, aber wie oft in Nele Neuhaus´ neuestem Buch „Böser Wolf“ irgendein Geruch aus dem nahen Wald „strömt“, geht wahrlich auf keine Kuhhaut. AutorInnen wie Gercke, Kinsella, Neuhaus schreiben immer nur auf, was sie denken, dass man so sagt, denkt, fühlt, meint oder gar ‚empfindet‘ (das journalistische Äquivalent ist wohl der Bratwurstjournalismus). Ich wette also nochmal: Sätze wie „Sie erstarrte. Ihr Herz begann zu rasen, ihre Knie wurden weich und sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen“ oder „Dieser gutaussehende Fremde mit den irritierend blauen Augen hatte völlig unerwartet etwas in ihrem tiefsten Innern berührt“ oder „Inka war eine starke, selbstbewusste Frau, die großen Wert auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit legte“ (alle Beispiele: „Böser Wolf“) finden sich so oder so sehr, sehr ähnlich in jedem zweiten sog. „Frauenroman“. Bei keiner einzigen dieser Publikation handelt es sich nämlich um ein Original, sondern immer schon um die Fortschreibung altbekannter und oft genug restaurativer Banalitäten, die ich – zugegeben – am liebsten in keinem Verlagsprogramm und in keiner Hand einer Leserin sehen würde.

2 Kommentare

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