Platzhalter des Grauens
Platzhalter des Grauens

Platzhalter des Grauens

Mitte Dezember hatte ich ja noch versucht, ein halbwegs gutes Wort für Martina Gercke einzulegen, indem ich das Vorhandensein verdächtig vieler Textstellen einer ähnlich banalen Story in Gerckes Roman „Holunderküsschen“ als typisches Merkmal sog. „Frauenliteratur“ vorstellte. Doch offenbar habe ich da weit gefehlt. Nun gibt es nämlich eine Videobotschaft der Autorin [Update: Der Link führt aktuell auf eine Fehlerseite, da das Video mittlerweile von der Homepage entfernt wurde], die meiner Meinung mehr enthüllt, als sie verbirgt.

Dass diese Ansprache kein regelrechtes Schuldeingeständnis werden sollte, ist klar; das wäre juristisch wohl wirklich unklug. Wie dieser Text allerdings von Anfang an die Verhältnisse zu verdrehen versucht, finde ich eher unanständig. Gercke spricht von „Ereignissen“, „die in den vergangenen Wochen ihren Lauf nahmen“, als hätte sie damit rein gar nichts zu tun. Auch wenn sie über das Plagiieren spricht, geschieht das zunächst einmal im Passiv: „Mir wurde vorgeworfen, fremde Textstellen verwendet zu haben“. Ein aktives Ich taucht dagegen auf, als Gercke behauptet, sie habe sich anlässlich des „enormen Drucks“ auf sie und ihre Familie „dazu entschlossen, meine Bücher vorübergehend aus dem Verkauf zu nehmen“. Jenseits dessen, dass man mit Plagiatsvorwürfen behaftete Bücher aus dem Verkauf nehmen sollte, weil sie mit Plagiatsvorwürfen behaftet sind, und nicht, weil deren Autoren deshalb angefeindet werden, entspricht diese Aussage ohnehin nicht der Wahrheit, zumindest wenn man dem Random House-Justitiar Rainer Dresen glauben darf, der im buchmarkt-Interview berichtete:

Als wir zahlreiche, zum Teil wörtliche Übereinstimmungen feststellen mussten, haben wir dies dem mvgverlag mitgeteilt. Dieser hat professionell und höchst ehrenwert reagiert und das Buch umgehend aus dem Vertrieb genommen.

Auch der anschließenden Behauptung von Gercke – „Ich bin froh, euch mitteilen zu können, dass die Vorwürfe auf anwaltlicher Ebene erörtert und in beiderseitigem Einvernehmen geklärt wurden“ – widerspricht Dresen aktuell, und zwar äußerst unmissverständlich:

Rainer Dresen: Mein letzter Stand war, dass mir der Gercke-Anwalt einen Einigungsvorschlag übersandte, den ich in zahlreichen Punkten abgeändert und ihm ein paar Tage vor Weihnachten zurückgeschickt habe. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm oder seiner Mandantin gehört, was ja auch ok ist, schließlich hatten wir Weihnachten, da herrscht üblicherweise Stillstand der Rechtspflege.

Buchmarkt: Von einer Einigung also keine Rede, oder?

Rainer Dresen: Wenn der Anwalt zu all meinen Vorschlägen „Ja“ sagt, ich das irgendwie auch noch von ihm erfahre, bevor ich mein Angebot wieder zurückziehe und wir beide ein Papier unterzeichnen, dann erst haben wir eine Einigung. Bisher aber habe ich nichts gehört oder gelesen und schon gar nichts unterschrieben.

Ich mag Gercke gar nicht vorwerfen, dass sie von den juristischen Dingen wenig Ahnung hat. Das Spannendste ist ohnehin, was nun folgt und Gercke als „offene und transparente“ Erklärung, „wie es überhaupt zu den beanstandeten Textstellen kommen konnte“, bezeichnet. Das ist sowas von verschlimmbessernd und verräterisch, dass es wohl wahr sein muss. Martina Gercke schildert also, wie sie die Arbeit an einem Buch beginnt (Idee, Figuren, Handlungsablauf) – und wie es dann weitergeht:

Um in dieser schwierigen Phase meiner schriftstellerischen Arbeit Handlungsabläufe kurz zu skizzieren beziehungsweise festzuhalten, habe ich gelegentlich Platzhalter benutzt. Das bedeutet, dass ich während des Schreibens leihweise Texte aus anderen Quellen benutzt habe. Diese sollten selbstverständlich bei der letzten Überarbeitung meines Manuskripts wieder entfernt werden. Zu meinem großen Bedauern habe ich an dieser Stelle handwerklich nicht sauber gearbeitet und einige Platzhalter stehen gelassen.

Das muss man sich wahrlich auf der Zunge zergehen lassen: Martina Gercke bedauert mithin nicht, dass sie ein Buch aus anderen Büchern zusammen gebastelt hat, sondern nur, dass sie diese „Platzhalter“ am Ende nicht ordentlich getilgt hat. All das gipfelt in dem Satz:

Ich habe die Platzhalter nicht bewusst stehen gelassen.

Dass Wolfgang Tischer vom Literaturcafé mittels des Hashtags #ausredenfuersabschreiben nun ein bisschen Schabernack treibt, kann ich nur zu gut verstehen. Ich weiß ehrlich auch nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll.

5 Kommentare

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