Die Abschaffung des Zufalls durch D.
Die Abschaffung des Zufalls durch D.

Die Abschaffung des Zufalls durch D.

Jedes Jahr gibt es ein paar Bücher, die man sehr, sehr gerne besprochen hätte, aber schlichtweg bei keiner Zeitung unterbringt (was verschiedene Gründe haben kann: mal zieht kein Redakteur, mal handelt es sich nicht um eine sogenannte Novität, mal wollte man auch gar nicht darüber schreiben, weil man nicht kompetent genug ist). Diese Bücher bleiben gewissermaßen ‚privat‘, weil der Kritiker sich darüber nicht öffentlich äußert. Zudem hat es mit diesen Büchern oft eine besondere Geschichte auf sich, zumindest in meinem Fall, da ich tatsächlich eher selten dazu komme, ‚privat‘ zu lesen und diese Bücher also sehr bewusst auswähle.

Mit diesen Sätzen fing der gestrige Text an, und eigentlich sollten diese „besonderen Geschichten“ auch sein Thema werden – wenn ich denn noch dazu gekommen wäre vor lauter Jakob Wassermann. Was gestern fehlte, wird also heute wenigstens teilweise nachgetragen. Ein weiteres ‚privates‘ Buch war in diesem Jahr der Roman „Die Abschaffung des Zufalls“ von Patrick McGuiness. Die Lektüre dieses Buches verdankt sich weder dem Autor (den ich zuvor nicht kannte) noch dem Thema (Sommer und Herbst 1989 in Bukarest), sondern schlicht und einfach der Tatsache, dass mir dieses Buch von jemandem empfohlen wurde, dessen Geschmack mich interessiert. Man darf das nicht unterschätzen: Wer öffentlich Bücher bespricht, der bekommt plötzlich keinerlei Literaturtipps mehr, einfach weil Freunde und Bekannte sich nicht getrauen, ihren Geschmack auf diese Weise gleichsam öffentlich machen, aus Furcht, ich würde das als banal oder oberflächlich abtun. Was natürlich Blödsinn ist: Ich finde es immer interessant, aber niemals peinlich, was Menschen lesen. Selbstverständlich, das würde ich durchaus behaupten, verrät es etwas über deren Wesen und Charakter – aber nichts, was verurteilenswert wäre (wobei ich keine Freunde habe, die Sarrazin o.ä. verteidigen; wie ich darauf reagierte, weiß ich tatsächlich nicht).

„Die Abschaffung des Zufalls“ jedenfalls stammt aus der Hand von D. – und das kam so: D. ist Verlagsvertreter in einem der wichtigsten Verlage Deutschlands und arbeitete früher bei einer der wichtigsten Buchhandlungen in München. Die Bekanntschaft beruht auch auf familiären Beziehungen, die allerdings um einige Ecken gehen und hier zu erläutern also deutlich zu weit führen würden. Heute lebt D., wenn ich mich recht erinnere, in Frankfurt; viel zu viele Jahre haben wir ihn nicht gesehen, bis wir ihn endlich – eben in seiner Rolle als Verlagsvertreter – auf der Frankfurter Buchmesse wiedertrafen. Mittlerweile ist es fast das Erste, was wir denken, wenn wir die Messe betreten: Wir müssen D. am Verlagsstand besuchen. Jedes Mal versprechen wir uns dann, dass wir uns auch unter dem Jahr einmal wiedersehen sollten – und schaffen es doch nicht. Weshalb auch auf der nächsten Buchmesse einer der ersten Gedanken wieder ihm gelten wird. Kurz gesagt: Ich würde mir nie erlauben, D. als Freund zu bezeichnen, aber auf ihn freue ich mich mit am meisten, wenn ich mich auf die Buchmesse freue, weil er ein herzlicher Mensch mit einem guten Kopf ist.

Überhaupt hat es Vorteile, ein paar Verlagsvertreter quasi ‚privat‘ zu kennen, wenn man auf der Buchmesse unterwegs ist. Das sind nämlich beinahe die einzigen, die einem nichts ‚andrehen‘ wollen. Deren Aufgabe sind die Buchhändler, weshalb sie auf den Markt noch einmal einen ganz anderen Blick haben, der mich selbstverständlich immer interessiert. Auch ihren Wert für die Verlage darf man keinesfalls unterschätzen, schließlich sind sie diejenigen an der ‚Front‘: Eine gute Kritik ist schön und gut,aber nix wert, solange der Vertreter das Buch nicht den Buchhändlern verkaufen kann.

Vertreter haben aber nicht nur jedes Mal ein Plätzchen zum Sitzen sowie Kaffee und Wasser parat – was auf der Buchmesse überlebenswichtig sein kann –, sondern auch recht umgehend die Frage „Magst Du ein Buch?“ auf den Lippen. Einfach weil sie wissen, dass die richtigen Bücher in der richtigen Peer-Group gut aufgehoben sind. Das ist der Moment, in dem ich üblicherweise um eine Empfehlung bitte, denn wenn jemand das gesamte Verlagsprogramm vom ersten bis zum letzten Wort wirklich gut kennt, dann sind das die jeweiligen Vertreter. Einfach weil sie wissen müssen, was sie da verkaufen. Das ist eine Menge Arbeit, die oft nicht gesehen wird und mich jedes Mal beeindruckt, weil sie ein relativ breites, im besten Sinne zeitgenössisches Wissen erzeugt.

D. nannte auf meine Frage erst einmal die wichtigen Bücher der Saison seines Verlags, bis ich um eine persönliche Empfehlung bat. Ohne lange zu überlegen nannte er „Die Abschaffung des Zufalls“ von Patrick McGuiness. Und genau dafür bin ich ihm dankbar: Dieser Roman erzählt vom letzten Sommer und Herbst, bevor die Diktatur in Rumänien endet, allerdings wähnt man sich eher in einer apokalyptischen Agenten-Schrulle als in einem ja quasi historischen Roman. Es beginnt damit, dass der Ich-Erzähler, ein britischer Ja-was-Eigentlich eine Stelle als Englisch-Dozent in Bukarest erhält, auf die er sich nie beworben hat, geschweige denn dass er jenes Vorstellungsgespräch geführt hätte, das immer wieder lobend erwähnt wird. Wohnung wie Büro übernimmt er von seinem mysteriösen Vorgänger  Belanger, ohne dass er Türschild oder Möbel wechselt: Er schlüpft gleichsam in dessen Identität, auch die Geliebte von Belanger wechselt einfach zu ihm. In Bukarest ist von Anfang an und ständig Leo O´Heix an seiner Seite, der nicht nur der „größte Schwarzhändler“ der Stadt ist, sondern auch an einem Buch namens „Stadt der verlorenen Wege“ schreibt: „eine urbane Elegie, ein Requiem für eine Stadt“. Bald beginnt das Ich eine Affäre mit der Politgrößten-Tochter Cilea, zudem lektoriert er die zweifachen (eine für hier, eine fürs feindliche Ausland) Memoiren des Schriftstellers Sergiu Trofim (ein Abbild des ehemals real existierenden Silviu Brucan), dann lernt er ein paar Oppositionelle kennen, die plötzlich verschwinden. Hinter den Sinn jener dauernden nächtlichen Anrufe kommt er erst spät, wie er ohnehin, so meint man, gerade noch mit dem Erzählen nachkommt, aber niemals mit dem Begreifen. Dass am Ende keineswegs die Guten von den Bösen säuberlich geschieden sind, kommt der Wahrheit dieser Zeit vermutlich deutlich näher als jede historische Auflistung der Ereignisse (Diktatur weg, Demokratie da). Im Grunde wusste ich aber, wie immer, schon nach dem ersten Absatz, dass der Rat von D. ein guter war:

Im Rumänien der 1980er Jahre war Langeweile nichts Harmloses, sondern etwas Hochbrisantes: Sie benebelte und quälte die Menschen; sie war der Grund, über den die Tage knirschten wie ein Bootskiel über den Kieselstrand. Im Westen ist Langeweile gleichbedeutend mit unerfüllter Zeit, in der man die Musik des Lebens aus den Ohren verliert. Die Langeweile in einem totalitären Staat ist etwas anderes. Sie ist die unablässige Erwartung, getrübt von der Ahnung ihrer Unerfüllbarkeit. Die Vorfreude und das Ereignis verbinden sich zu einer Endlosschleife von Spannung und Enttäuschung.

2 Kommentare

  1. Erhard Schneider

    Sehr geehrte Frau Schuster,
    dank Ihrer sehr persönlichen Rezension hoffe ich von Ihnen zu erfahren, ob diese Buch auch auf französich vorliegt; Dankbar wäre ich schon für einen Hinweis auf welchen Wegen ich das erfahren könnte.
    Ich verliess Rumänien rechtzeitig (1975) um die beschriebenen Zustände nicht in der Ausprägung erleben zu müssen….!
    Vielen Dank im Voraus und freundliche Grüsse von
    Erhard Schneider

  2. katrin

    Lieber Herr Schneider,

    ich denke, das müsstet dieses hier sein (das fremdsprachige Amazon ist als Recherche-Tool eigtl. immer geeignet): Amazon-Link.
    Warum der deutsche Titel so ganz anders klingt als der englische und der französische, der die ablaufende Frist meint („Die letzten 100 Tage“), weiß ich leider nicht.

    Beste Grüße!
    KS

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