Nicht rot, sondern tot
Nicht rot, sondern tot

Nicht rot, sondern tot

Die englische Sprache kennt das Wort „drinkard“ nicht. Dennoch trägt eines der wichtigsten Bücher der nigerianischen Literatur – jenes Buch, das gemeinhin an den Anfang der schriftlichen (englischsprachigen) und womöglich deshalb international bekannt gewordenen nigerianischen Literatur gesetzt wird – den Begriff „drinkard“ im Titel. Ich spreche von Amos Tutuolas Roman „The Palm-Wine Drinkard and his Dead Palm-Wine Tapster in the Deads´ Town“. In den deutschen Übersetzungen ist von diesem Neologismus, der den Trinker („drinker“) mit dem Säufer („drunkard“) verschmilzt bzw. exakt auf der Grenze zwischen beiden zu verorten ist, nichts mehr zu hören. Auf Deutsch heißt der Roman in allen greifbaren Übersetzungen schlicht und einfach „Der Palmweintrinker“. Amazon besitzt sogar die dreiste oder eben bloß desinteressierte Respektlosigkeit, das Buch unter dem Titel „Der Palmweintrinker und sein roter Palmweinzapfer in der Totenstadt“ zu führen (bei buecher.de und booklooker dasselbe, siehe Google).

Nein, der Palmweinzapfer des nach hiesigen Kategorien zweifellos alkoholabhängigen Ich-Erzählers – „Ich trank Palmwein von morgens bis abends und von abends bis morgens. Ich konnte damals kein gewöhnliches Wasser mehr trinken, nur Palmwein“ – ist nicht rot, sondern schlicht und einfach tot, weil er von der Palme gefallen ist. Deshalb – hier würde man sagen: Er ist auf Entzug – begibt sich ja der Ich-Erzähler auf eine mehrjährige Reise, während der er für „Erste-Welt“-Verhältnisse allerlei seltsamste (aka „magische“) Abenteuer bestehen muss, um den Palmweinzapfer aus der Stadt der Toten zurückzuholen (was ihm nicht gelingt).

Nun gut, das Wort „drinkard“ mag nicht allzu leicht zu übersetzen sein (wie wäre es mit „Trinkbold“ oder „Betrinkter“ oder „Trunkener“?). Allerdings liest man in der Übersetzung von Walter Hilsbecher – immerhin nicht der Untalentierteste – gleich auf der ersten Seite noch so ein dickes Ding. Im Original bezeichnet sich das Ich als „expert palm-wine drinkard“. Hilsbecher macht daraus einen „Palmweintrinker, wie er im Buch steht“. Das ist wahrlich ein mehr als bemerkenswerter Vergleich, denn Palmweintrinker standen damals gerade in keinem Buch, da sie keinen Gegenstand der Literatur darstellten. Dass nicht wenige derjenigen, die über den Roman geschrieben haben, dessen Fundierung in der oralen Tradition betont haben, war Hilsbecher offensichtlich egal. Für ihn handelt es sich also um einen „Palmweintrinker, wie er im Buch steht“. (Ich habe bereits andere deutsche Ausgaben des Romans bestellt und bin gespannt, wie diese Stelle dort lautet.)

Mit diesem Beispiel trifft man allerdings mitten in die Debatte über dieses Buch, das 1952 erschien. Im Ausland, vor allem in den USA und in Großbritannien, wurde Tutuola dafür hoch gelobt; als Paten fungierten T.S. Eliot und Dylan Thomas. Im eigenen Land jedoch warf man ihm vor, die Vorurteile der „Ersten Welt“ über den „dunklen Kontinent“ zu bestätigen. Tatsächlich hat Tutuola den Roman nicht, wie ein Artikel korrekt bemerkt, im Englisch des 18. Jahrhunderts geschrieben, sondern in Pidgin-Englisch, dem Englisch also, das die Kolonialherren ihren Sklaven beibrachten. Tutuolas englischer Verlag Faber and Faber griff an überraschend wenigen Stellen ein, und das offenbar wirklich nur zur besseren Verständlichkeit (z.B. „at all“ statt „atal“), wie eine abgedruckte Manuskriptseite in der Erstausgabe ostentativ ausstellt.

Ob man damit die „Primitiviät“ der nigerianischen Literatur oder gerade das Gegenteil beweisen wollte, lässt sich heute freilich nicht mehr sicher sagen. Das Nachwort der deutschen Ausgabe des Verlags Wolfgang Rothe ist jedenfalls ein bemerkenswertes Beispiel für ach so gutgemeinte Völkerverständigung, die sich am Ende als pure Arroganz entpuppt. Es stammt von Janheinz Jahn, der sich ohne Frage verdient gemacht hat um die Vermittlung afrikanischer Literatur, und schwadroniert merkwürdige Dinge über den „afrikanischen Geist“ und dessen „unmittelbaren Kontakt mit dem Unbewussten“. Die finale eurozentristische Pointe, die „den Afrikaner“ endgültig als zurückgeblieben ausweist, heißt: „Sollte es uns nicht ganz gelingen [dass wir uns „in jene über-reale Welt [des Romans] hinüberschwingen“], geben wir dieses Buch getrost unseren Kindern: sie werden uns helfen.“

Dass Tutuola in „The Palm-Wine Drinkard and his Dead Palm-Wine Tapster in the Deads´ Town“ die eigenen Yourba-Mythen in die Sprache der Kolonialisten transferiert, also ganz bewusst einen „clash of cultures“ herbeiführt, scheint dagegen keiner Erwähnung wert. Auch die Tatsache, dass der Autor ganz sicher nicht der „uneducated African who came out of the bush with a manuscript under his arm“ war, hörte man damals offensichtlich nicht gern. Trotz all der Anzeichen für die explizite Schriftlichkeit des Romans – Majuskeln, Anführungszeichen, Einschübe und so weiter – beharrt auch Jahn vehement darauf, dass es sich hier um „Sprache und keine Schreibe“ handle. Ich finde leider keine Jahreszahl in dieser Ausgabe, aber man ahnt zum Glück, wie lange her und also überholt diese Worte sind.

(Ich halte im Herbst vier Vorträge über die nigerianische Literaturgeschichte und packe meine Recherche und Vorüberlegungen hier ins Blog – to whom it may concern…)

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