Sicherheitheit. Oder: Perlen des Paranoiden
Sicherheitheit. Oder: Perlen des Paranoiden

Sicherheitheit. Oder: Perlen des Paranoiden

In der NZZ ist heute ein schöner und interessanter Text über die jüngste Geschichte der mittelalterlichen Handschriften von Timbuktu erschienen. Kurz gesagt geht es darum, dass das wertvolle Gut in großer Gefahr ist, weil kluge Einwohner der Stadt es vor den verschiedenen Besatzungsmächten versteckt haben. Nun lagern diese Handschriften also übers Land verteilt in unauffälligen Blechkisten und Garagen – und nehmen dabei täglich Schaden, vor allem wegen der Feuchtigkeit in den heimlichen Lagern.

Der Autor Markus M. Haefliger scheint nicht nur vor Ort und im Besonderen auch in einer solchen Bücher-Garage gewesen zu sein (im Guardian stattdessen nur eine Meldung), sondern erzählt gleichsam nebenbei noch eine andere Geschichte, die man durchaus amüsant nennen könnte. Denn die Retter der Handschriften haben ziemlich Chuzpe bewiesen, als sie die Schriftstücke den letzten Besatzern, den Jihadisten von Ansar ad-Din, als religiösen Wert vorstellten und sie in deren Schutz übergaben. Eine Aufgabe, die von den Islamisten denkbar bereitwillig und eifrig übernommen wurde – offenbar in völliger Unkenntnis des tatsächlich teils weltlichen, teils alchemistischen (und also ganz sicher nicht islamistisch korrekten) Inhalts der Texte. Haefliger zitiert in indirekter Rede Abdoulaye Cissé, einen Mitarbeiter des Institut des hautes études et de recherches islamiques Ahmed Baba (Ahmed-Baba-Institut): „Dies [die Manuskripte bewachen] hätten sie auch getan, und zwar so gründlich, dass ihn die Wachen bald selber nicht mehr in das Gebäude eingelassen hätten.“ Und noch ein weiteres Mal haben sich die Islamisten als schlichtweg ungeeignete Vertreter ihrer Ideologie entpuppt: Als sie ein paar tausend Manuskripte einfach übersehen haben, weil das Licht in einem Raum nicht eingeschaltet war.

Wie gesagt: Dass es sich bei den Islamisten um Idiotae gehandelt haben muss, wird nicht explizit gesagt, lässt sich aber kaum ignorieren. Ich finde den Ton jedenfalls gelungen, weil er dennoch nicht kolonialistisch und nicht islamphob daherkommt. Worauf Haefele sogar ausdrücklich hinweist, und zwar gleich im ersten Satz, ist eine gängige Fehlinterpretation, die auch ihm unterlaufen ist und er also richtigzustellen sucht (was ich schon an sich sehr löblich finde und eigentlich auch für einen feinen journalistischen Zug halte):

Anders, als dies in den Medien dargestellt worden ist oder in Berichten über die islamistische Besetzung Timbuktus im letzten Jahr suggeriert wurde (auch von diesem Korrespondenten), waren die sektiererischen Unterdrücker nicht blindlings darauf aus, die Handschriften der alten Gelehrtenstadt zu zerstören. Im Gegenteil.

Diese Formulierung „Im Gegenteil“ muss es wohl gewesen sein, die beim Perlentaucher sofort die Islam-Verbrüderungs-Alarmglocken schrillen und den Verstand in diesem Lärm verstummen ließ – obwohl das Gegenteil von „blindlings“ die Sache eigentlich eher schlimmer denn besser macht. Aber gut. In semantischer Unfähigkeit fasst man beim Perlentaucher die Stoßrichtung des Artikels also so zusammen:

Mit sehr viel Verständnis für die Islamisten, die Mali ins Chaos gestürzt hatten, erzählt Markus Haeflinger, wie Abdel Kader Haïdara und die Bibliothekare von Timbuktu ihre kostbaren Manuskripte in Sicherheitheit  [sic] brachten.

Ich weiß nicht, welchen Artikel der Verfasser der Perlentaucher-Feuilleton-Rundschau gelesen hat, aber den von Markus M. Haefliger mit Sicherheitheitheit nicht. Oder höchstens den ersten Satz davon. Das Tragische an der Geschichte: ein einigermaßen intelligenter Islamophobiker (sofern es solche gibt, ich zweifle ja daran) hätte sich aus diesem NZZ-Artikel einen richtig hässlichen und bösen und doofen Islamisten stricken können. Doch nicht einmal dazu reicht es offenbar beim Perlentaucher.

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