Was Babys beweisen
Was Babys beweisen

Was Babys beweisen

Aktualisiert

Eine der jüngsten Säue die via FB und vor allem natürlich via Google+ (schließlich versammelt sich da die digitale Elite) durchs Dorf getrieben wurden, ist das Youtube-Video „A Magazine Is an iPad That Does Not Work“. Darin sieht man, wie ein Kleinkind mal auf einem iPad, mal auf den Seiten verschiedener Frauenzeitschriften herumtappt. Ersteres funktioniere, Letzteres nicht, behaupten die Zwischenüberschriften. Was natürlich kompletter Blödsinn ist: Weder wissen wir, was dem Kind besser gefällt, noch kann ich erkennen, dass die Zeitschrift „nicht funktioniert“, da das Baby ja – zumindest im Rahmen seiner beschränkten haptischen Möglichkeiten – darin herumblättert und ein Parfümprobe zu entfernen versucht. Mehr als der banale Beweis, dass das iPad ein digitales und die Zeitschrift ein analoges Medium ist, wird mithin nicht erbracht. Entsprechend schleierhaft ist mir die Freude der Community an diesem Video, das ja allererst den Infantilismus des iPads trefflich in Szene setzt und zudem demonstriert, auf welch absurden Wegen man nach Argumenten für die ‚Richtigkeit‘ des Digitalen sucht: Der Biologismus, der in der Behauptung steckt, ein iPad wäre das ‚natürlichere‘ Medium, weil es von einem Baby (angeblich) bevorzugt wird, ist nicht witzig, sondern bloß gruselig. In meinen vielen Jahren in der Gastronomie konnte ich hundertmal beobachten, dass sich kleine Kinder mehr für den leuchtenden und mit allerlei Knöpfen versehenen Zigarettenautomaten interessierten als für Papier und Malzeug; Eltern, die dem nachgegeben haben und ihrem Kind also eine Kippe statt eines Stifts in die Hand gedrückt haben, kenne ich jedoch glücklicherweise keine. Bei den Eltern des Video-Babys ist das anders: Sie freuen sich am Ende: „Steve Jobs has coded a part of her OS“.

Ich will nicht behaupten, dass mein Blick auf die medialen Veränderungen ohne blinde Flecken auskomme,  halte aber die der Propheten des Digitalen für größer. Nehmen wir mal die zweite Sau, die von ihrem Verfasser ebenfalls gerne durchs Dorf getrieben werden würde, was allerdings noch nicht so richtig zu klappen scheint. Bereits im Juli freuten sich viele an dem „Mobile Bullshit Bingo“: Gespielt wird (freilich nicht offiziell) auf New-Media-Konferenzen, weshalb die Bingo-Felder keine Zahlen, sondern angebliche „Worthülsen“ enthalten. Schon diese Version hat mich nicht sonderlich gut unterhalten, weil sich darauf eine Menge Formulierungen fanden, die ich sooo lächerlich nicht fand; etwas als hohl zu bezeichnen, nur weil es häufig auftaucht, erscheint mir merkwürdig bzw. unangenehm positivistisch. Aber gut: ist nicht meine Branche, Insider mögen darüber lachen können, bitte gerne.

Das Buchmarkt-Bullshit-Bingo von Leander Wattig verstehe ich dann gar nicht mehr. Statt witzig zu sein (was ja absolut im Bereich des Möglichen liegt), entlarvt es – gerade in seiner hoffnungslosen Umständlichkeit – wieder nur, wie verzweifelt da nach Möglichkeiten gesucht wird, sich über die analoge Branche lustig zu machen – bloß weil sie die Verkaufszahlen im Blick hat, die ihnen nunmal sagen, dass der Anteil des E-Books bei „Nullkommairgendwas“ (so ein Verlagsvertreter auf der Buchmesse) liegt, und nunmal nicht jeder Verlag ausreichend finanzielle Mittel hat, um einen Social-Media-Redakteur zu bezahlen. Als Wattig sein Bingo auf Google+ zur Diskussion stellte, wurde es allerdings noch grotesker, weil man der Branche ein weiteres Mal unterstellen wollte, dass ihr das Haptische bzw. das Papier als solches als Argument gelte. Liebe Leute, ehrlich: Wenn ihr´s bislang nicht getan habt (was zwar kaum zu glauben ist bei Menschen, die was mit Medien machen, aber ganz offensichtlich der Fall ist, sonst wären die Texte klüger), dann führt euch wenigstens zu dessen postumen Ehren mal ein paar der Bücher von Friedrich Kittler zu Gemüte. Oder denkt mal wieder an Marshall McLuhans beinahe einzigen Überrest „The medium is the message“. Da haben die Eltern des Videobabys nämlich völlig recht: Medien kodieren unser Betriebssystem. Man sollte sich deshalb durchaus die Frage stellen (dürfen), wem wir diese Kodierung überantworten. Und: Ein E-Book ist tatsächlich etwas ganz anderes als ein Buch (was nicht schlimm oder furchtbar oder gar zu bedauern ist!), eben weil es nicht aus Papier besteht. Die moderne Literatur und mit ihr das moderne Subjekt sind Effekte des Buchdrucks – weshalb es nicht unwahrscheinlich ist, dass beide mit ihm enden (apropos: auch Foucault kann ich sehr empfehlen, das ist so’n französischer Diskurstheoretiker). Darüber wäre zu reden, denn darum geht es. Und nicht um das Papier als solches oder dessen Anfassbarkeit oder dessen Geruch. Nur kann man darüber leider nicht reden, solange sprachlose Kleinkinder zu Wortführern erhoben werden.

Nachtrag vom 23.10.: Ein FAZ-Artikel nimmt die Nachricht unter die Lupe, dass E-Book-Lesen dem Papier-Lesen überlegen sei. Die zugrundeliegende Studie verdient nicht nur die Bezeichnung Studie nicht, sondern geht auch fraglos davon aus, dass es als positiv betrachtet werden muss, wenn das Gehirn beim Lesen möglichst wenig Aktivität zeigt. Seltsam, seltsam …

10 Kommentare

  1. katrin

    In beinahe jedem Feld werden doch Argumente angeführt, die sich auf die Rückständigkeit der Branche hinsichtlich des WWW beziehen. Z.B. „Verkauf via Social Media geht nicht“ oder „Papierne Bücher gibt´s auch in Zukunft“ oder „Anzahl der Facebooks-Fans ist irrelevant“ und so weiter.
    P.S.: Die „analoge Branche“ hätte ich selbst wohl am besten schon in Anführungszeichen setzen sollen …

  2. katrin

    Noch ein Nachtrag: Ich ärgere mich über den Börsenverein kaum weniger als Du. Nur würde ich mir wünschen, dass sich endlich ein eigener Diskurs etabliert und nicht immer die tatsächlich idiotischen Argumente (Papier, Geruch und so weiter) aufgegriffen und -gespießt werden. Das führt doch zu nix bzw. ist eben auch nicht schlauer.

    1. Den Diskurs gibt es ja längst und viele Unternehmen marschieren auch schon kräftig voran in die Zukunft. Dennoch sollte man auch ab und an der Verbandspropaganda widersprechen, von der Viele in der Branche ja auch genervt sind. Tut man das nie, ist es quasi eine Zustimmung. Den Diskurs bringen wir/bringe ich auch ganz praktisch voran. Ich habe bspw. jüngst einen Publishing-Stammtisch in Frankfurt ins Leben gerufen. Dort und bei ähnlichen Anlässen geht es wenig politisch zu, sondern es wird ganz praktisch und offen diskutiert: http://bit.ly/ozpxM3

      Wenn Du mal hier bist, sag gern Bescheid und komm hinzu – ich freue mich über jeden kritischen Geist. 🙂

  3. Ich habe extra „Mein ganz persönliches ‚Buchmarkt-Bullshit-Bingo'“ darüber geschrieben. Mein Tätigkeitsfeld ist nunmal die Beratung und Bloggerei u.ä. im Bereich Internet-Marketing. Vor diesem Hintergrund habe ich argumentiert und dadurch natürlich kein allumfassendes Bild zeichnen können oder wollen. Ich bestreite also keineswegs, dass in der „analogen Branche“ nach wie vor das Geld verdient wird. Es ist ja bekannt, dass E-Books-Umsätze bisher unter 1 Prozent der Gesamtumsätze ausmachen. Vielmehr greife ich Einzelaspekte aus der Online-Diskussion heraus, die aus meiner Sicht nicht zutreffen, obwohl sie beständig wiederholt werden. Dazu gehört bspw., dass es durchaus Leute gibt, die ihren E-Reader mit an den Strand nehmen. Dazu gehört aber auch, dass man Social-Media-Plattformen nicht nur als Spielerei, sondern auch zum Verkauf (gerade auch von papiernen Büchern!) nutzen sollten. Zumindest sollte man Erfahrungen sammeln, was geht und was nicht geht, damit man besser aufgestellt ist, wenn die „analogen Umsätze“ langsam zurückgehen, was ja zu erwarten ist.

    Bei “Papierne Bücher gibt´s auch in Zukunft” ging es mir explizit um die Nutzung des Argumentes in Diskussionen, was ich hier nochmal ausgeführt habe. Denn natürlich wird es papierne Bücher immer geben.
    http://leanderwattig.de/index.php/2011/10/20/schreibmaschinen-wird-es-immer-geben/

    1. katrin

      Die Ausführung zu den papiernen Büchern hatte ich gelesen, ja. Allerdings macht es meiner Meinung nach durchaus einen Unterschied, ob gedruckte Bücher ein Massenmedium oder ein Nischenprodukt darstellen, eben weil sie (s.o.) als Massenmedium eine Gesellschaft ‚erfunden‘ haben – und also fraglich ist, was die digitalen Medien mit dieser Gesellschaft machen. Die Frage, ob die Verlage diesen Wandel überleben können, wenn sie sich möglichst frühzeitig damit arrangieren, interessiert mich deshalb – man verzeihe mir – nicht vordringlich. Diese Frage möglichst genau zu beantworten, ist tatsächlich dein Job 🙂

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