Das wird niemals zur Belastung
Das wird niemals zur Belastung

Das wird niemals zur Belastung

Und wieder einmal ärgere ich mich, dass ich Freuds Aufsatz „Das Unbehagen in der Kultur“ noch immer nicht gelesen habe, denn wieder einmal habe ich das Gefühl, dass er mir in der Sache weiterhelfen könnte. So aber kreise ich einfach mal ein bisschen um mein Thema herum.

Als erster Baustein mag mein Blogartikel über Chervels „Antwort auf Sibylle Lewitscharoff“ dienen. An diesem Perlentaucher-Text haben mich vor allem zwei Dinge gestört: einerseits dessen literarische Unkenntnis, die mich selbstredend besonders erstaunt, da sie in einem Text auftritt, der von Literatur bzw. SchriftstellerInnen zu handeln behauptet; andererseits meine ich darin eine ordentliche Portion Überheblichkeit zu bemerken.

Der Verdacht, dass die Unkenntnis und die Überheblichkeit irgendwie zusammengehören, ist imho mehr als eine Ahnung. Zieht man die falschen Fakten ab, bleibt unter anderem etwas übrig, das ich aktuell andauernd zu entdecken glaube und mir ein wenig unheimlich zu werden beginnt. Chervel paraphrasiert Intertextualität als „Insiderspielchen“ und Lewitscharoffs Begriff von Autorschaft als „isoliert schwebende und schillernde und von unten angestaunte Blase der Originalität“. In dem Text über einen Meedia-Artikel zum Dschungelcamp habe ich eine ähnliche rhetorische Bewegung als „aggressiven Minderwertigkeitskomplex“ bezeichnet; ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das die richtige Formulierung ist. Andere weisen auf den Dunning-Kruger-Effekt hin, und auch Konstantin Sakkas hat sich für das Deutschlandradio daran versucht, wohl weil – da ging es mir ähnlich – ihn die Unkenntnis und die Häme, mit dem so fürchterlich viele Grass´ Gedicht „Europas Schande“ begegnet sind, peinlich berührt hat. Er schreibt:

Das Schlimmste daran: Hier spricht nicht der „Stammtisch“, sondern der durchaus „informierte Leser“. Reihenweise stimmen nämlich die seriösen Medien in den Spottgesang gegen Grass ein, und in säuerlicher Überheblichkeit ergeht sich ein Leitartikler im „Fremdschämen mit Grass und Griechenland“. Kurz: Wer die Reaktionen auf das Gedicht im Internet abfragt, stößt auf eine Einheitsfront der brutalen Häme, die sich selbst als abgeklärte Ironie feiert.

[Exkurs: Von Sakkas bin ich genauso wenig Fan wie von Volker Weidermann, dessen Glosse „Noch´n Gedicht“ man nicht schätzen muss, um es grotesk zu finden, dass diejenigen, die nicht begriffen haben, dass es sich um einen Witz handelte, nun der FAZ Vorwürfe machen, weil sie selbst zu faul waren, einmal zum Telefonhörer zu greifen, und weil sie einen Konjunktiv II lieber dezidiert ignorieren, statt ihn als das zu verstehen was er ist; man nennt ihn ja nicht zufällig „Irrealis“.]

Der dritte Baustein, der irgendwie zu diesem Komplex gehört, obwohl der Fall ganz anders liegt, stammt aus der Süddeutschen Zeitung vom vergangenen Donnerstag. Er ist die eigentliche Ursache dieses Blogartikels hier. Da schlage ich die Literaturseite auf und freue mich, dass sich darauf ein großer Artikel über Monika Rinck befindet, der zudem von der – und das ist durchweg positiv gemeint – Schönschreiberin Ina Hartwig stammt. Leider dauert es jedoch nur bis zur zwölften Zeile, bis ich die Zeitung verärgert zur Seite werfe. Hartwig beginnt damit, dass Rincks Texte „geheimnisvoll“ seien (eine Meinung, die ich absolut nicht teile; ich weiß auch nicht, worauf sie damit zielt), um die Autorin im folgenden Satz als „gelehrte Lyrikerin“ vorzustellen. Und weiter:

Und dieses Wissen, das sie unter anderem an deutschen und amerikanischen Universitäten erworben hat, dringt auch in ihrem jüngsten Band „Honigprotokolle“ aus fast jeder Zeile, doch, um es gleich zu sagen: das wird niemals zur Belastung.

Ich weiß nicht, ob dieser Satz im vorauseilenden Gehorsam geschrieben wurde, von der Redaktion gewünscht war oder tatsächlich der Meinung der Kritikerin entspricht. Ich weiß nur: Ich finde es wahrlich grauenhaft, wenn ein Text derart ausdrücklich (mit Doppelpunkt!) darauf hinweist, dass jenes aus fast jeder Zeile dringende Wissen (das sich vermutlich ähnlich heimlich-unheimlich anschließend in unserem Kopf einnistet), „niemals zur Belastung“ wird. Wohlgemerkt: Was sich wie eine Entschuldigung für die Intellektualität eines Buches liest, ist als Lob gemeint.

Ähnlich seltsam erscheinen mir jene Rezensionen dicker Bücher, die betonen, dass die Lektüre zwar anstrengend sei, sich aber lohne. Nun frage ich mich, und zwar nicht zum ersten Mal: Wieso werden Menschen, die Bildung als potentielle Belastung und dicke Bücher als Zumutung begreifen (die sich dann wenigstens rechnen muss), ausgerechnet Literaturkritiker? Mir geht es jedenfalls genau umgekehrt: Ich lese gern und viel. Und meine Erfahrung sagt mir: je gebildeter ein Buch, desto besser.

Selbstverständlich will ich Ina Hartwig hier nicht mit Meedia und dem Perlentaucher in einen Topf werfen. Ina Hartwig verfügt schließlich über eine Menge Wissen, das sie üblicherweise auch perfekt einzusetzen weiß. Dennoch meine ich in ihrem Rinck-Text eine gewisse Anbiederung zu spüren, die ich für verfehlt halte, weil ich nicht glaube, dass das Objekt dieser Anbiederung überhaupt existiert. Oder gibt es tatsächlich Menschen, die erleichtert aufseufzen, wenn die SZ ihnen versichert, dass das Wissen in diesem Gedichtband von Monika Rinck nicht zur Belastung werde, und sich deshalb sogleich anschicken, den Band zu erwerben? Ich hoffe ehrlich, dass dem nicht so ist.

Soviel für heute. Irgendwann bekomme ich das alles hoffentlich auch mal konkreter formuliert, hier oder an anderer Stelle.

4 Kommentare

  1. katrin

    Noch als Zusatz, um evtl. einigen Kommentaren zuvor zu kommen: Ich weiß, dass dieser Text einige Dinge wiederholt, die ich schon mehrmals gesagt habe; und ich weiß, dass da noch einige lose Fäden herumhängen.

  2. Claus

    Vorschlag zur Themeneingrenzung: Vielleicht geht es um die Wahrnehmung des Wunsches, die Welt möge die eigene Mittelmäßigkeit reflektieren. Das ist Ausdruck einer Konsens-Gesellschaft, in der Differenz ungern gesehen wird.

    Nun aber: Das ist alles nicht neu. Es nutzt nichts, wenn Politiker, „Netzaktivisten“ und Kritiker das Bildungsbürgerliche meiden pder gar schmähen – mit ihrer Angst vor Elitärem, der Negation der Leistung des Einzelnen, mit der Vergötzung des Populären, die gerne auch augenzwinkernd daherkommt, oder dem Postulat einer „Schwarmintelligenz“ üben sie sich gefallsüchtig in altbekannter, schlichter Spießigkeit.

  3. Pingback: Noble Scheune | katrin schuster

  4. Ich kann das teilweise nur als Reaktion darauf verstehen, dass gerade im deutschen Bildungsbürgertum Intellektualität eben gerne zum Prinzip für „besser“ gemacht wird. Und das sind dann die Momente, wo ich gerne aussteige, obwohl ich mich selbst als intellektuell bezeichnen würde. Ich kann nichts Schlechtes daran finden und vor allem auch keinen Hang zur Mittelmäßigkeit, wenn jemand in der Lage ist, intelligente Dinge so zu verpacken, dass sie auch für jemanden ansprechend wirken, der etwas „leichteres“ erwartet hätte. „Schwierige“ also anstrengende Intellektualität muss in meinen Augen nicht unbedingt bedeuten, dass das Werk dadurch besser wird – genau auf dieses Gefühl treffe ich aber in deutschen Feuilletons und auch in der deutschen Wissenschaft immer wieder.

    Kurz gesagt: Auch als intelligenter Mensch muss man doch Klugscheißer nicht toll finden, oder?

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