Die Kaninchen*-Geschichte
Die Kaninchen*-Geschichte

Die Kaninchen*-Geschichte

Die Kaninchen*-Geschichte zum Beispiel: Immer wenn die Rede zwischen F. und mir auf das Kaninchen kommt, behauptet er, dass er es war, der bei dem Hasen* nachgefragt habe, um den täglichen Löwenzahnbedarf* des Kaninchens zu erfahren. Dabei weiß ich genau, dass nicht er, sondern ich diesen Anruf getätigt habe. Mittlerweile erspare ich mir diesen Hinweis allerdings, weil ich weiß, dass das Gespräch nur dann zu beenden ist, wenn einer von uns beiden freiwillig aufgibt – da jeder von uns beiden sich absolut und hundertprozentig sicher ist, dass die Geschichte genauso abgelaufen ist, wie er denkt. Nur leider sind das eben zwei völlig verschiedene Geschichten. Womöglich könnte eine Tonbandaufnahme all unserer Anrufe den Widerspruch klären – dann würde er eben woanders aufreißen, à la: „Aber ich war es, die dich tagelang genötigt hat, da anzurufen!“

Was ich damit sagen will: Ich glaube, sowohl Merlind Theile als auch Marina Weisband haben Recht. Beziehungsweise: keine von beiden. Erinnerung bedeutet nicht die schlichte Wiedergabe von Fakten, sondern deren sprachliche Formulierung, i.e. Interpretation. Und ich glaube auch nicht, dass eine Tonbandaufnahme die Sache endgültig klären würde, denn mit O-Tönen lassen sich ebenfalls jede Menge Spielereien treiben, die nicht im Sinne des Interviewten sind. Selbst wenn ganz Deutschland die Kommunikation von Weisband und Theile von der ersten bis zur letzten Sekunde hätte verfolgen können, wären, so meine Vermutung, die Positionen noch immer dieselben wie jetzt: Die Einen finden Theiles Deutung richtig, die Anderen nicht.

Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass Weisband mit dem SPIEGEL-Artikel nicht glücklich ist. Aber dafür sind SPIEGEL-Artikel ja auch nicht da. Der Text von Merlind Theile unternimmt eine Deutung und lanciert eine Prognose, die man interessant finden kann und der Marina Weisband nicht einmal widerspricht. Dass „Marina Weisband ein Comeback erwägt“ zum Beispiel: Weisband schreibt, sie sei „definitiv nicht festgelegt […] und sogar zurzeit eher abgeneigt“ – was auch meiner Meinung nach besagt, dass sie über eine Rückkehr in den Betrieb nachdenkt oder wenigstens nachgedacht hat und ihre Meinung darüber irgendwann auch wieder anders aussehen könnte („zurzeit“). Auch im zweiten Beispiel kann ich nichts entdecken, was diese fürchterliche Erregung rechtfertigt. Marina Weisband zitiert das Gespräch so:

„Nehmen die Rufe nach Ihnen zu?“ „Es sind hauptsächlich Mentions auf Twitter, in letzter Zeit schon mehr“.

Theile macht daraus:

„Die Rufe nach mir nehmen zu.“

Was bitte ist daran falsch? Ja, Theile rückt das Ich von Weisband in den Vordergrund – dieser Narzissmus ist eben ihre (zugegeben nicht sonderlich spannende) Deutung, die man ihr vermutlich auch mithilfe von Tonbandaufzeichnungen oder anderen Protokollen nicht nehmen wird.

Ähnliches gilt für das dritte Beispiel. Weisband schreibt:

„Für die Piraten mag es vielleicht das Beste sein, aber für mich? Ich weiß nicht, ob ich für den Politikbetrieb gemacht bin.“ (Daraus wurde das Zitat: „Für die Piraten ist es wohl das Beste, wenn ich kandidiere.“)

Theile behauptet, dass sie just dieses Zitat mit Weisband abgeklärt habe. Selbst wenn sie das nicht getan hätte, sähe ich in dieser Verkürzung – eine notwendige journalistische Praxis, um die man nicht herumkommt – ein hinbiegendes, aber kein verdammenswertes Fehlverhalten. Im Grunde müsste es Weisband sogar passen, da es eben nicht ihre privatpsychologische Einschätzung, was für sie das Beste sei, in den Vordergrund rückt, sondern die öffentliche Diskussion. Dass man ihr diese Zitate als Eitelkeiten auslegt, halte ich für völlig idiotisch: Sollte sie denn besser den Fakten widersprechen und lautstark abstreiten, dass auf Twitter die Rufe nach ihr lauter werden und ihre Kandidatur den Piraten nützen würde?

Dirk von Gehlen bemerkt anlässlich dieser Geschichte ganz richtig:

Die, die bisher über andere berichteten, werden plötzlich selber zum Gegenstand der Berichterstattung.

Nur bin ich mir längst nicht so klar wie er, was damit gewonnen wäre. Ich erkläre gerne jedem meine Arbeitsweise, allerdings wird mir das ziemlich schwer fallen – nicht weil ich arrogant bin (so das gerade allzu gern lancierte Vorurteil gegenüber Journalisten), sondern weil Sprache nicht eindeutig und nur bedingt geeignet ist, um so etwas wie „Wahrheit“ zu transportieren. Texte, die sich selbst dekonstruieren, liefert die Critical-Whiteness-Debatte aktuell zur Genüge – und sie sind vielfach schlicht unlesbar.

Und jenseits dessen, dass also die Diskussion über die journalistische Arbeitsweise die Diskussion über politische Inhalte verdrängt (was freilich bis zu einem gewissen Punkt sinnvoll ist, da eins vom anderen nicht zu trennen ist), bleibt die Frage, wie man der Forderung nach mehr Transparenz begegnen soll. Mit O-Ton-Interviews? Es gibt nichts Schlimmeres und Uneindeutigeres! Das weiß jeder, der schon einmal ein mitgeschnittenes Interview abgehört und -getippt hat und dann Stunden damit verbracht hat, die vielen Halbsätze zu ganzen zu machen und in eine annähernd logische Abfolge zu bringen. Mit Texten, in denen alle behandelten Personen sich korrekt dargestellt fühlen? Oh, bitte, bitte nicht! Mit einem Video-Protokoll aller Gespräche, damit Gestus, Mimik und jeder Satz des Interviewten, die den Journalisten zu seiner Meinung geführt haben, ebenfalls nachprüfbar sind? Als ob das etwas daran änderte, dass die Einen das so und die Anderen das anders interpretieren!

Von Gehlen schreibt:

Journalisten, die die Aufmerksamkeit ihrer Leser erlangen und erhalten wollen, müssen mehr als bisher begründen, warum sie arbeiten wie sie das tun [sic].

Ehrlich: Ich weiß nicht, wie das en détail gehen soll, ohne fürchterlich lange und langweilige Texte, quasi: Lektüreanleitungen, zu produzieren. Und ich kann und will auch nicht jede meiner Quellen preisgeben, weil ich dann wahrscheinlich bald keine mehr habe. Und ich will auch meine Texte (klar: das sind weniger Rechercheergebnisse als vielmehr Meinungstexte) nicht mit dem Etikett „transparent“ bewerben. Denn das sind sie nicht, und das werden sie vermutlich nie sein. Es sind Texte, nicht mehr und nicht weniger. Hinter ihnen steckt keine endgültige Wahrheit, die sich bis ins Letzte „beweisen“ ließe.

Nicht wenige Literaturkritiker werden angesichts dieser Debatte ohnehin ein wenig grinsen müssen. Denn sie kennen sie seit Jahrzehnten: Wer ein Buch „verreißt“ oder „schlecht“ bespricht, bekommt mit ziemlicher Sicherheit vom Autor zu hören, dass er das „nicht so gemeint“ habe (o.s.ä.). Und obwohl in dem Fall kein Mangel an vermeintlichen Fakten besteht – schließlich gibt es den Schriftsteller-„O-Ton“ schwarz auf weiß in dem betreffenden Buch –, werden auch solche Auseinandersetzungen kaum je entschieden, worüber ich eigentlich ganz froh bin. Journalismus ist immer auch Lektüre: von sprachlichen Aussagen, von öffentlichen Auftritten, von schriftlichen Äußerungen. Und, ja: Jeder Mensch liest anders – was ich sehr gut finde, da mich eben diese Lektüren interessieren. Wenn die Gegenstände dieser Lektüre damit nicht zufrieden sind, irritiert mich das zugegeben weniger, als wenn sie es sind (auf Hofberichterstattung kann ich gut und gern verzichten). Dass der SPIEGEL gewisse Narrationen mit einer gleichsam neurotischen Begierde verfolgt: d´accord. Das gilt zum Beispiel auch für den Politikteil der NZZ, den ich dennoch mit großem Gewinn lese, weil er eben nicht nur Verlautbarungen liefert, sondern Deutungen, an denen man sich reiben kann.

P.S.: Selbstverständlich gibt es Grenzen der „Interpretation“, und die lassen sich auch, wie das Bildblog seit Jahren eindrucksvoll beweist, einigermaßen gut feststellen.

P.P.S., das wenigstens einen Teil meiner Idiosynkrasien transparent macht: Ich hätte nie gedacht, hier mal einen Text eines CDU-Politikers zu empfehlen, aber das sei hiermit getan.

 

* Symbolbegriff

6 Kommentare

  1. katrin

    Und kaum publiziert, bin ich mir schon wieder unsicher, ob das alles wirklich so stimmt, was ich da sage. Es sind wirklich nur Ansätze zu Gedanken, und wie immer ist es viel zu kurz und unausführlich, aber noch länger sollte der Text eben auch nicht werden.

  2. Martin Rath

    Es ist schon recht, denke ich.

    Mir kochte heute beim Blick in einen piratendurchsetzten Stream gelegentlich die Galle hoch, weil sich die werte Freibeuterei auf die Kontroverse stürzte als gehe es beim Weisband-Theile-Karriereplanungsorakel um die Deutung der Emser Depesche. Dabei hatte der Tag mit einer Radio-Meldung begonnen, die von der Unterdrückung einer kritischen Studie zur Geschichte des Dopings in Deutschland handelte. Statt Vehemenz im Bereich ihrer Kernkompetenz zu zeigen, entblößen sich Piraten gegenwärtig im öffentlichen Lernen von Medienkonventionen.

    Eine davon bringt dieses Posting, für meinen Geschmack, sehr schön auf den Punkt.

    1. katrin

      Danke 🙂 Mir kochte gar nicht die Galle hoch – das ist ja wirklich eine schwierige Frage. Wobei ich behaupten möchte (vielleicht ist es auch nur ein Wunschtraum?): Jeder ordentliche Journalist schreibt die Dinge nach bestem Wissen und Gewissen auf. Und dabei kommen eben dann nicht nur Nettigkeiten heraus.

  3. Gesagte Dinge werden unterschiedlich wahrgenommen und es kann der interessanteste Teil eines Diskurses sein, diese Dinge unterschiedlich auszulegen, um damit Thesen zu stützen. Ist das nicht irgendwie auch einfach nur Hermeneutik?

    Aber das ändert nichts daran, dass es ein Gutes hat, wenn journalistische Methoden grundsätzlich transparenter werden, dass es überhaupt einen Diskurs geben KANN. Dass eine Interpretation des Gesprächs durch den Spiegel nicht einfach als alleinige Wahrheit stehen bleibt und jemand wie Marina Weisband sie hinnehmen muss, ohne sich irgendwo äußern zu können (bzw. von der Gnade der Leserbriefredaktion abhängig ist).

    Und wenn dann wiederum Journalisten wissen, dass sie in solchen Fällen angreifbarer werden, dann werden sie vielleicht auch einfach sorgfältiger. Denn Interpretation ist eine Sache, Worte bösartig verdrehen die andere – und beides findet statt.

    1. katrin

      I don´t believe in Hermeneutik 😉
      Ich wollte mich auch gar nicht gegen Transparenz aussprechen – ich halte sie jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt für möglich. Um Deinen letzten Satz aufzugreifen: Theile begreift ihren Artikel vermutlich als Interpretation, Weisband hält ihn dagegen für eine bösartige Verdrehung. Und ich glaube nicht, dass man wirklich „beweisen“ kann, wer Recht hat.

  4. Pingback: Johannes Ponader: „Die Rufe nach mir werden immer lauter“ — Carta

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