Ausdrücke der theoretischen Hilflosigkeit
Ausdrücke der theoretischen Hilflosigkeit

Ausdrücke der theoretischen Hilflosigkeit

Die wohl traurigste Erkenntnis meiner Lektüre derjenigen Texte, die Kritik an der Internetkritik üben, ist deren historische wie theoretische Dürftigkeit. Schon während der Lektüre des Buches „Die digitale Gesellschaft“ wusste ich irgendwann nicht mehr, ob ich lachen oder weinen sollte, weil die Autoren offenbar weder über soziologisches noch über medientheoretisches Grundwissen verfügen (oder dieses nicht angewandt haben). Als Beispiele mögen genügen, dass sie die Bibel als „gewaltiges Plagiat“ und Verbote als „Ausdruck der gesellschaftlichen Hilflosigkeit“ vorstellen.

Weit, weit weniger schlimm, aber ebenfalls fehlerhaft, ist – ganz abgesehen davon, dass mich der Buchdruckvergleich nur noch nervt, weil er meistens falsch ist – der folgende Absatz des Textes „Die Verklärung der Zeitungskrise“ auf neunetz.com:

Die deutschen Medien sind wie die einst Bücher per Hand kopierenden Mönche, die ob der Einführung des Buchdrucks um ihre Position fürchten und glauben, objektiv zu erscheinen, wenn sie ihrer sehr ausführlichen Erörterung der Gefahren und Befürchtungen ein „Der Buchdruck ist ganz praktisch, aber…“ voranstellen.

Mithin ist es weder merkwürdig noch belächelnswert noch „natürlich ganz menschlich und nachvollziehbar“ (neunetz), dass Mönche ob der Einführung des Buchdrucks um ihre Position fürchteten. Sie hatten vielmehr völlig recht damit, denn genau so kam es: Die Kirche im Allgemeinen und die katholische im Besonderen büßten ihre Position ein. Einen fürchterlicheren Machtverlust kann man sich wohl kaum vorstellen. (Womit nicht gesagt sein soll, dass ich das gut oder schlecht heiße; es ist bloß ein Fakt, nichts weiter.)

Dass der Text ebendies ein wenig verkennt, bedeutet mir auch die Rede von den Mönchen selbst: Den Buchdruck ablehnende Texte haben (zumindest soweit ich weiß) weniger Mönche, sondern vor allem und in schöner Regelmäßigkeit die zeitgenössischen Päpste formuliert. Das kam also von ganz oben (wie aktuell ja auch) und gerade nicht so sehr vom ‚einfachen Volk‘ in den Abschreibestuben. Jedoch ging es wahrlich nicht darum, einen Schein von Objektivität zu wahren. Vielmehr haben die Päpste sich um einen solchen Schein einen regelrechten Teufel geschert. Die Objektivität, die vielen heute als erstrebenswertes Ziel zu gelten scheint, ist das (angebliche) Gegenteil der Subjektivität, und die kennt man (in unserem heutigen Verständnis) ebenfalls erst seit dem 18. Jahrhundert.

Auch die Formulierung „per Hand kopierende Mönche“ verrät ein falsches Verständnis. Man mag das damals ja als „Kopieren“ bezeichnet haben, die heutige Assoziation aber tendiert in eine so technische wie identitäre Richtung – und darum ging es eben gerade nicht. Ein Buch wurde nicht so genau als möglich kopiert, sondern ab- und teils sogar umgeschrieben. Da es im Mittelalter noch keinen Begriff des geistigen Eigentums gab, bedeutete auch „Autor“ (sofern überhaupt davon die Rede war) etwas anderes, nämlich nichts, dessen „Leistung“ es zu „schützen“ galt. Abschreiben war quasi ein Gottesdienst; die Angst richtete sich mithin auf mehr als bloß den Verlust der „Position“.

Doch das sind Peanuts im Vergleich zu dem ersten Absatz des Textes „Geschichten aus unserer digitalen Parallelwelt“ auf cicero.de:

Den Satz des Wochenendes hat die Bundeskanzlerin persönlich geprägt: Richtig zu lesen, das sei ja dann doch noch mal was anders, als einfach im Internet zu sein. Schöner kann man den latenten Konflikt zwischen analoger und digitaler Welt kaum beschreiben: Das Netz ist demnach einfach immer „was anderes“. Doch das ist Unsinn: Das Netz ist ein ziemlich getreues Abbild unser Realität. Logisch: Haben ja auch wir gemacht […].

Ja, ja, Sie haben schon richtig gelesen. Da behauptet ein Medienjournalist allen Ernstes, das Netz sei „ein ziemlich getreues Abbild der Realität“. Begründung: „Haben ja auch wir gemacht.“ Puh, da weiß man nun freilich gar nicht mehr, wo man anfangen soll. Vielleicht so: Weil etwas von Menschen gemacht wird, ist es selbst noch lange nicht menschlich (sofern es sich nicht um das Zeugen von Kindern handelt), im Gegenteil. Die Definition von Medien ist vielmehr deren Un-Menschlichkeit (von den Hellsehern, die sich auch als „Medium“ bezeichnen, mal abgesehen). Sie vermitteln, wie der Name schon sagt, und zwar zwischen Menschen. Sprache ist z.B. ein Medium, das die Realität meinetwegen irgendwie zu fassen versucht, aber doch keinesfalls mit ihr verwechselt werden sollte (vgl. Saussure, 1916). Für Zeitungen, Bücher, Internet gilt m.E. dasselbe.

Wenn auf cicero.de also die „wunderbar verquere Logik“ herbeigeschrieben wird, „die vielen Offlinern [wer bitte soll das denn sein?!?] zu eigen ist: Sie meinen immer noch, das Netz sei irgendwie inhuman und unlogisch und auf jeden Fall eine völlig neue Welt. Dabei ist es eine Welt, die von Menschen geschaffen wurde und in der sich Menschen aufhalten“, kann ich mir ob dieser wunderbar verqueren Denke nur die Augen reiben. Selbstverständlich ist das Netz inhuman, und zwar im besten Sinn des Wortes, da es aus Servern, Kabeln u.ä. besteht, die zum Großteil gerade nicht von Menschen hergestellt wurden, sondern von Maschinen, und in denen sich ganz sicher keine Menschen aufhalten (hoffe ich zumindest!).

Das ist es auch, was mich an den Texten, die „soziale“ Netzwerke für ihre Vernetzung von Menschen loben, immer wieder verstört: Diese Netzwerke sind allererst Programme, die einen Austausch zwischen IP-Adressen ermöglichen. Das finde ich nicht schlimm, versteht mich nicht falsch. Aber ignorieren sollte man es doch bitte auch nicht, dass z.B. Facebook eben nur die „Kommunikation“ zulässt, die sich, platt gesagt, in Nullen und Einsen auch ausdrücken lässt. Vielmehr halte ich das für medientheoretisches Grundwissen. Dass es daran zu mangeln scheint und darüber vor allem mit moralischen Gebärden, die ein diffuses Verständnis von Freiheit, Menschlichkeit und Demokratie beschwören, hinweg getäuscht werden soll, erklärt vielleicht, warum sich ‚die da oben‘ nicht sonderlich interessieren für die vielen Geheimrezepte für die Zukunft des deutschen Journalismus, die offensichtlich auf deutschen Blogger-Festplatten schlummern.

 

P.S.: Ich sage es lieber dazu, bevor ich wieder einmal in eine falsche Schublade gesteckt werde: Nur weil ich die Internetkritikkritik kritisiere, befürworte ich noch lange nicht die Internetkritik. Ich halte weder etwas von Achsen den Guten noch von Achsen des Bösen.

P.P.S.: Info-Nachtrag: Den neunetz-Absatz habe ich auch auf neunetz.com so ähnlich (freilich weniger ausführlich) kommentiert, woraufhin ich die Antwort erhielt, er sei „nicht wortwörtlich gemeint“. Keine Ahnung, was genau damit bedeutet werden soll, in jedem Fall aber macht diese Erklärung eine Differenz zwischen Wörtlichkeit und (vermutlich) metaphorischem Gebrauch der Sprache auf und passt deshalb vielleicht ganz gut ins Bild. Denn, nein, so leicht entkommt man dem Diskurs gerade nicht (vgl. Nietzsche, 1873).

Ein Kommentar

  1. Zum Vergleich lese ich gerade das „Internet“-Buch von Lobo/Passig und obwohl man ja weiß, wo die beiden stehen, muss man ihnen wirklich zu Gute halten, dass sie sich um eine a) halbwegs ausgeglichene und b) historisch abgesicherte Darstellung bemühen.

    Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich auch jener Fraktion zurechne, die das Internet nur als eine Erweiterung des direkt sinnlich erfahrbaren Lebens sieht und nicht als eine von ihr getrennte Sphäre. Natürlich ist es „inhuman“, aber das ist letztendlich jede Form von medialer Kommunikation (vgl. Shannon/Weaver, 1948), also hängt das ganze auch irgendwie davon ab, wie weit man die Definition von Menschlichkeit ziehen will.

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