Wie Jakob Wassermann mich mit meinem Ebook-Reader versöhnte
Wie Jakob Wassermann mich mit meinem Ebook-Reader versöhnte

Wie Jakob Wassermann mich mit meinem Ebook-Reader versöhnte

Jedes Jahr gibt es ein paar Bücher, die man sehr, sehr gerne besprochen hätte, aber schlichtweg bei keiner Zeitung unterbringt (was verschiedene Gründe haben kann: mal zieht kein Redakteur, mal handelt es sich nicht um eine sogenannte Novität, mal wollte man auch gar nicht darüber schreiben, weil man nicht kompetent genug ist). Diese Bücher bleiben gewissermaßen ‚privat‘, weil der Kritiker sich darüber nicht öffentlich äußert. Zudem hat es mit diesen Büchern oft eine besondere Geschichte auf sich, zumindest in meinem Fall, da ich tatsächlich eher selten dazu komme, ‚privat‘ zu lesen und diese Bücher also sehr bewusst auswähle. Und manchmal sind sie auch nur halbprivat, wie etwa im Fall Jakob Wassermann, von dem ich in diesem Jahr mehrere Romane gelesen habe, weil ich einen Wassermann-Spaziergang durch Fürth konzipiert und verfasst habe (für das Literaturportal Bayern). Allzu viel erwartet hatte ich nicht – entsprechend sprachlos war ich, als ich begriff, von welch bemerkenswerter Qualität Wassermanns Literatur ist. War ich also wieder einmal auf einen dieser „zu Unrecht Vergessenen“ gestoßen. Obwohl mir diese Formulierung eigentlich nicht behagt, weil ich die Literaturgeschichte nicht als juristisches Hoheitsgebiet verstehe, passt sie für Jakob Wassermann sehr gut: Wassermann wurde 1873 in Fürth geboren – für ein Kind assimilierter Juden kein schlechter Ort, denn Fürth verfügte damals über eine der größten jüdischen Gemeinden; um 1800 ist fast jeder vierte Bürger jüdischen Glaubens, 1826 wird Leopold Ullstein hier geboren, 1848 der Fürther David Morgenstern als erster jüdischer Landtagsabgeordneter ins Parlament gewählt, 1868 erfolgt die völlige Gleichstellung von jüdischen und christlichen Bürgern. Freilich gab es in Fürth dennoch Antisemitismus, davon berichtet Wassermann wiederholt in autobiografischen Werken: Ein junges Mädchen fragt etwa den Protagonisten von „Engelhart Ratgeber“ „ängstlich: ‚Ist es wahr, dass du ein Jud bist?‘ Er stutzte, bejahte, aber der Ton ihrer Stimme wollte ihm nicht aus dem Kopf.“

Aufgrund der chronischen Erfolglosigkeit des Vaters als Kaufmann – die man sich gut als Komödie vorstellen könnte, wenn sie nicht so bitter wäre – war die Familie arm. Kein schöner Zustand in einer Zeit, als sich Fürth gerade zur Industriestadt wandelte. 1835 fuhr hier die erste Eisenbahn Deutschlands, im 19. Jahrhundert vervierfachte sich die Einwohnerzahl. Noch heute fühlt man sich, wenn man durch Fürth spaziert, in diese verrußten Jahre zurückversetzt.

Jakob Wassermann, das wusste er bald, wollte Schriftsteller werden und flüchtete deshalb regelrecht nach München, in die legendäre Bohème der legendären Jahrhundertwende. Die meiste Zeit seines Lebens führte er eine äußerst prekäre Existenz; mit seiner zweiten Frau Marta zog er 1919 nach Österreich. Als 1933 seine Bücher verbrannt wurden, scheint, so beschreiben es jedenfalls die Biografen, etwas in ihm zerbrochen zu sein, weil Wassermann sein Werk nicht nur als politischen, sondern auch als pazifistischen Beitrag zur Weltgeschichte verstand. Kurz gesagt: Er hielt sich für gescheitert. Am 1. Januar 1934 erlitt er einen Schlaganfall und starb. Ein Todesdatum, das mich sofort an Irmtraud Morgner erinnert, die 1990 starb und also ebenfalls eine Zeitenwende als Schriftstellerin kaum überlebte. Schon deswegen passt auf Morgner wie auf Wassermann der Begriff „zu Unrecht vergessen“: weil man den Systemen, die sie mundtot machen wollten, nicht im Nachhinein Recht geben sollte, indem man die Verschwiegenen vergisst.

Wassermanns Romane sind teilweise noch greifbar, ich aber habe sie auf meinem (damals recht neuen) Ebook-Reader (kein Kindle!) gelesen. Weil das Programm einen Bug hatte, musste ich irgendwann einen Total-Reset (oder wie immer man das nennt) durchführen, so dass all meine Anmerkungen, die ich bei den „Juden von Zirndorf“ gemacht hatte, verschwunden waren. Meine erste schlechte Erfahrung mit dem digitalen Lesen. Die andere: Da man beim Ebook-Lesen kein Gefühl – ja, genau, ich zitiere hier die viel geschmähte Haptik – für das Buch (das ja keines ist) entwickelt, finde ich auch keine Stellen aus dem Gedächtnis wieder (da links unten, wo die Seite so einen Knick hatte), so dass ich den Roman also noch einmal werde lesen müssen.

Die schönste Erfahrung mit dem Reader hat dagegen mit dem Reader gar nicht so viel zu tun, aber sie gehört zu der Griechenlandreise, und dazu gehören viele meiner eindrücklichsten Erlebnisse dieses Jahres. Nach Athen verbrachten wir noch eine Woche in einem restaurierten Steinhäuschen im Pilion-Wald, fünf Minuten Fußweg zu einer perfekten Ägäis-Bucht. Der Herr über ein halbes Dutzend solcher Häuser, die kein Feriendorf oder ähnliches bilden, sondern lose in der kleinen Ansiedlung verteilt sind, ist ein Deutscher, genauer gesagt ein ehemaliger (Suhrkamp-)Verlagsvertreter aus dem hohen Norden. Sein eigenes Haus nennt er die Ponderosa, seine Kuh Gaddafi (erst als er uns die vorstellte, begriff ich, was er mit der Bemerkung, Assad läge schon in der Kühltruhe, gemeint hatte). Jedes seiner Häuser verfügt über eine große Bibliothek (unser Häuschen z.B. über die gesamte Insel-Verlag-Taschenbuch-Bibliothek, und wenn ich „die gesamte“ sage, dann meine ich auch die gesamte). Eines Morgens kam ich aus dem Haus, da stand er auf der Terrasse – auf der F. und ich lange Nächte verbrachten, weil Dachse, Wildschweine, Siebenschläfer, ein paar Katzen und Hunde sich allabendlich ein munteres, walnussknackendes und feigenschmatzendes Stelldichein lieferten – und beugte sich über den Ebook-Reader. „Keyserling?“, fragte er. Ich sagte: „Nein, Wassermann“ (es war der Roman „Christian Wahnschaffe“, ein großer Text!). Die Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die aufgrund des Hineinlesens in einen Text dessen Autor zu erkennen meinen (noch dazu einen wie Keyserling!), verdanke ich also dem Ebook-Reader, was mich mit dessen Macken fast versöhnt.

(Und wieder ein Text, der nie da ankam, wo er hinsollte: Eigentlich wollte ich hier mehrere ‚private‘ Bücher vorstellen, aber das muss ich wohl auf ein andermal verschieben.)

4 Kommentare

  1. Da man beim Ebook-Lesen kein Gefühl – ja, genau, ich zitiere hier die viel geschmähte Haptik – für das Buch (das ja keines ist) entwickelt, finde ich auch keine Stellen aus dem Gedächtnis wieder (da links unten, wo die Seite so einen Knick hatte)

    Ich bin ja auch so ein visueller Typ, aber die Suchfunktion hilft doch beim Wiederfinden? Vielleicht muss man sich nur umgewöhnen…

    1. katrin

      Mit Sicherheit ist das auch eine Sache der Gewohnheit, ja! Ich wollte mit diesem Hinweis auch keinesfalls den E-Reader verdammen, sondern nur sagen, womit ich mich noch schwer tue. Tim Parks weist in seinem Essay „E-books can´t burn“ ebenfalls auf diesen Effekt hin, wundert sich aber zugleich, dass man das Ebook nicht herzlicher begrüßt, weil es doch so viele Vorteile hat: http://www.nybooks.com/blogs/nyrblog/2012/feb/15/ebooks-cant-burn/

      1. Ich wollte dir den gleichen Tipp geben (jetzt erst, weil ich jetzt erst dazu gekommen bin, deinen Artikel zu lesen). Habe mich im Dezember durch Neal Stephensons 1000-seitigen Internet-Zeitalter-Thriller „Reamde“ gewälzt und war froh um die Suchfunktion, wann immer ich das Gefühl hatte „Habe ich da vielleicht mal irgendwas überlesen?“ – War deutlich effektiver als das sonst übliche Blättern nach Schriftsatzgedächtnis. 🙂

  2. Pingback: Die Abschaffung des Zufalls durch D. - katrin schuster

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