Pick Down
Pick Down

Pick Down

Einer der Fälle von einer mehr als unglücklichen Koinzidenz von redaktionellem Inhalt und Werbung, die ich am besten erinnere, stammt aus dem Jahr 2006. In der Lüneburger Zeitung erschien damals ein Artikel über die Deportation und Ermordung der Lüneburger Sinti, und im rechten unteren Eck warb ein Energie-Unternehmen für sich mit dem Satz „E.ON sorgt schon heute für das Gas von morgen“ (Netzeitung).

Das Entsetzen über diese Kombination kann vermutlich jeder gut verstehen – zum Skandal aber taugt es imho gerade nicht. Denn jeder, der schon einmal in einer (seriösen) Redaktion gearbeitet hat, weiß genau, wie so etwas passieren kann. Zumindest bei der Süddeutschen Zeitung war es so: So lange der Redakteur die Seite baute, waren die Anzeigen ausgeblendet; erst kurz vor Schluss erfuhr man deren Inhalt. Ich halte diese Vorgehensweise auch für unbedingt geboten, weil damit wenigstens rein technisch verhindert wird, dass Anzeigen Einfluss auf die Inhalte nehmen.

Das aktuell wohl beste, weil für mich absolut nervigste Beispiel, wie es aussieht, wenn Werbung nicht einfach nur wirbt, sondern Inhalte mitgestaltet, ist meiner Meinung nach ein Schokoriegel namens Pick-Up. Man mag das natürlich als witzige Erinnerung an den Umfangreichtum des verstorbenen Dirk Bach empfinden, wenn Sonja Zietlow ihrem neuen Dschungelcamp-Ko-Moderator Daniel Hartwich immer wieder Schokoriegel anbietet. Doch die Wahrheit ist wohl mal wieder viel profaner: Das würde sie vermutlich nicht tun, wenn Bahlsen nicht genau dafür bezahlen hätte. (By the way: Auch den „Ta, Dickie“-Spot am Ende der ersten Folge fand ich überraschend lieblos; man musste imho schon ein überaus großer, also fast blinder Fan von Bach sein, um die RTL-Standard-Trauer-Formatierung – passende Sätze à la „Ich geh dann mal“, Schwarz-Weiß, Verschattungen, melancholische Musik – nicht zu bemerken, sondern ehrlich gerührt zu sein.)

Doch das Dschungelcamp ist nicht die einzige Pick-Up-Story, die uns von Bahlsen gerade erzählt wird. Auch in Matthias Schweighöfers neuen Kinofilm scheint der Kekshersteller mehr oder wenig kräftig investiert zu haben: Ob der andauernd überall laufende Werbespot für den Riegel oder den Film wirbt, weiß man eigentlich nicht zu unterscheiden; zudem scheint es mindestens eine Szene in dem Film zu geben (das suggeriert der Spot), in der Schweighöfer seinen Ko-Darsteller Milan Peschel mit einem Pick-Up über was auch immer hinwegtröstet oder den Mund stopft. Auch da wage ich die These: Diese Szene hätte es in dem Film so nicht gegeben, wenn Bahlsen nicht dafür gezahlt hätte.

Doch das sind nur zwei der Gründe, warum ich die Selbst-ist-der-Journalist-Mode gerade mit großem Argwohn betrachte. Auf Twitter zum Beispiel, wo mir nicht wenige Kollegen mit dummer Eigenwerbung auf den Keks(!) gehen, finden sich zahlreiche weitere. Versteht mich nicht falsch: Natürlich folge ich Kollegen, um zu erfahren, worüber sie gerade nachdenken und schreiben. Aber immer häufiger fällt mir auf, wie schnell einer davon seine Objektivität verrät, indem er mit typischen PR-Sätzen wie „schnell noch anmelden“ für eine Tagung unter seiner Beteiligung begeistern will oder durch die minutiöse Aufzeichnungen seiner Hin- und Herfliegerei die eigene Gefragtheit inszeniert oder noch jede Nennung seines Namens in irgendeiner Zeitung tweetet, um sich als Opinion Leader vorzustellen. Das ist Werbung und gerade kein Journalismus. Und eben darin sehe ich die Gefahr, wenn jeder sich am besten selbst vermarkten soll.

Ein Kommentar

  1. Im Stern von letzter Woche stand eine von Oskar Lafontaine erwirkte Gegendarstellung. Auf der unteren Hälfte dieser Seite war eine Werbung für Tena Men (Inkontinenzeinlagen) zu sehen. Wirklich Zufall?

    oder durch die minutiöse Aufzeichnungen seiner Hin- und Herfliegerei die eigene Gefragtheit inszeniert oder noch jede Nennung seines Namens in irgendeiner Zeitung tweetet, um sich als Opinion Leader vorzustellen. Das ist Werbung

    … oder Narzissmus.

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