Gemischter Mist
Gemischter Mist

Gemischter Mist

Ich würde lügen, wollte ich behaupten, dass mir Verrisse keinen Spaß machen. Tatsächlich fühle ich mich überaus wohl, wenn ich mich über etwas wirklich geärgert habe und diesen Ärger auch wortreich loswerden kann. Als ich mir „Patchwork Family“ angesehen habe, um es für den epd medien zu besprechen, ist mir allerdings Spucke wie Sprache weggeblieben. Selbstredend hat das damit zu tun, dass ich zuvor noch nie wirklich einen Blick auf „Berlin, Tag und Nacht“ oder „Köln 50667“ (o.s.ä.) geworfen habe. Was ich nun fast bereue, denn die reaktionäre Banalität dieser sogenannten Scripted Reality ist wahrlich auf ganz fürchterliche Weise beeindruckend. Ich weiß ehrlich nicht, wie man als Autor dieser Storys morgens noch in den Spiegel gucken kann.

Ebenfalls im Auftrag des epd höre ich mir gerade die „Radiolegenden“-Serie von Radio Eins an, was nicht wahnsinnig spannend ist, aber doch einen schönen Moment zeugte, als Hugo Egon Balder mit Oliver Kalkofe telefonierte und Oliver Kalkofe etwas formulierte, womit ich schon länger hadere. Angesprochen auf den Wandel des Fernsehens nannte Kalkofe recht schnell, dass die Fernsehmenschen früher noch gutes Fernsehen, heute dagegen nurmehr gutes Geld machen wollten. Anders kann man sich tatsächlich nicht erklären, dass Sendungen wie „Patchwork Family“ produziert werden, die auch Produzenten und Autoren kaum für gutes Fernsehen halten können. Ich frage mich nur: Wird man heutzutage ernsthaft TV-Autor oder TV-Produzent, um so etwas herzustellen? Oder rutscht man da rein und kommt dann nicht mehr raus, weil man eben das Geld braucht? Mir kommt es manchmal fast so vor, als würde mindestens die Hälfte des deutschen Fernsehens wissentlich aus Mist bestehen. Einen #Aufschrei aber ernten Brüderle und Ulmen. Und nicht das Dschungelcamp oder der Bachelor, obwohl es Sendungen wie diese sind, die Demütigung als Welthaltung populär machen.

Mehr will ich zum #Aufschrei und zum Dschungelcamp hier auch gar nicht sagen – was einen ganz einfachen Grund hat: Ich fürchte mich vor den Reaktionen auf diese meine Meinung, die dem digitalen Mainstream vermutlich nicht entspricht. Online funktioniert so eine Schweigespirale fast noch besser, habe ich manchmal den Eindruck.

Und jetzt muss ich einen weiteren Sprung machen, der manchen vielleicht groß scheint, für mich aber ein denkbar kleiner ist: Im Deutschlandfunk – eines der wenigen Medien, das ich als solches noch ernst nehmen kann – war gestern ein Beitrag über eine Konferenz mit dem Thema „Volksgemeinschaft – Ausgrenzungsgemeinschaft“ zu hören, in dem auch Norbert Frei und Harald Welzer zu Wort kamen. Ich glaube, es war Welzer, der anmerkte, dass Shitstorms seine Alarmglocken schrillen ließen: Welzers These, dass jeder Konstruktion von „Gemeinschaft“ – womit eine Privatisierung von Gesellschaft umschrieben wäre – aggressive Tendenzen innewohne, sieht er in Shitstorms gleichsam vorbildlich verwirklicht. Ich bin immer froh, wenn jemand in Worte fassen kann, was für mich bis dato nur ein diffuses Gefühl darstellte.

5 Kommentare

  1. Hmmm… Mit welcher Kompetenz kannst Du denn „Patchwork Family“ besprechen, wenn Du die einschlägigen Vorgängerformate nicht kennst? Und womöglich auch nicht amerikanische Serien wie „Modern Family“, die einen sichtbaren Einfluss auf „Patchwork Family“ haben? Kann jeder voraussetzunglos eine Fernsehkritik in einer Fachzeitschrift schreiben?

    (Und von wegen Schweigespirale: Das Netz platzt gerade fast vor Wortmeldungen von Leuten, die die Dschungelshow und deren Grimme-Nominierung für den Beweis dafür halten, dass der Untergang des Abendlandes unmittelbar bevorsteht.)

  2. katrin

    Hä?!? Ich habe gesagt, dass ich mir diese Formate vorher nie wirklich angesehen habe – für den Text über PF musste das natürlich sein, und was das ist, war mir durchaus klar. Modern Family – das ich natürlich kenne – kommt im epd-Text vor (sogar ziemlich zentral), aber hier nicht, weil es hier um Scripted Reality geht.
    (Sitze gerade im Zug, sorry, wegen Schweigespirale später mehr. Die Frage, ob „jeder voraussetzungslos“ in Fachblättern publizieren darf, kann ich ohnehin nicht beantworten, da ich darüber nicht entscheide.)

  3. katrin

    Doch noch ein Nachsatz: Das ist genau diese Abqualifizierung, die der digitale Mainstream (damit meine ich nicht irgendwelche FB-Statusmeldungen, sondern SpOn, Meedia and so on) gerade pflegt und ich teils als aggressiv empfinde: Ich habe mit dieser Nominierung auch meine Schwierigkeiten, sehe aber deswegen noch lange nicht das Abendland untergehen.

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