Boko Haram
Boko Haram

Boko Haram

Endlich ist Boko Haram wieder in aller Munde, und hinter diesem Namen liest man üblicherweise in Klammern die Übersetzung „westliche Bildung verboten“. Das klingt logisch und umgehend glaubhaft als Selbstbeschreibung einer islamistischen Terrorgruppe. Allein, so einfach ist die Sache nicht; offenbar sind sich nicht einmal alle Hausa (die Ethnie, deren Sprache diese Bezeichnung entstammt) einig, was dieser Begriff eigentlich bedeuten soll. Die Schwierigkeit liegt weniger in dem Wort „Haram“ – auch wenn üblicherweise der Zusatz „nach islamischem Recht“ fehlt, obwohl es just das beschreibt: dass etwas nicht Scharia-konform ist. Es geht mithin um „boko“, ein Hausa-Wort, „originally meaning sham, fraud, inauthenticity, and such which came to represent western education and learning“ (Paul Newman). Das Wort machte also einen Bedeutungswandel durch, von „Betrug“ zu „westlicher Bildung“.

Man kann sich ungefähr denken, wann das geschah: als die britischen Kolonialisten mit jeder Menge evangelikaler Missionare im Gepäck in das Gebiet des heutigen Nigeria kamen, nach und nach Richtung Norden vordrangen, dort mächtige Kalifate unterwarfen und 1914 schließlich drei „Protektorate“ zu einem Land namens Nigeria vereinigten. Zwar hat der Westen nicht nur die muslimische Bevölkerung (die Hausa und die Fulani) betrogen, doch waren und blieben sie die einzigen, die sich nicht – wie etwa die Igbo im Südosten oder die Yoruba im Südwesten – christianisieren lassen wollten und also stets die – nicht zahlenmäßig, sondern bürokratisch – Unterlegenen waren und blieben, während das Land die wichtigen Schritte in Richtung Unabhängigkeit unternahm. Die Aussage, dass westliche Bildung im Hausa-Islam verboten ist, stellt folglich kaum mehr als eine Tautologie dar, denn „westliche Bildung“ kann im Falle Nigeria umstandslos mit dem Christentum gleichgesetzt werden. Und was das Christentum da angerichtet hat, verursacht bis heute immer wieder Bürgerkriege; der brutalste davon der Biafra-Krieg von 1967 bis 1970, dessen Urszene den aktuellen Ereignissen verdammt ähnlich sieht. Auch damals begann alles mit Pogromen gegen Andersgläubige im Norden.

Ich halte den Roman „Half of the Yellow Sun“ (der Titel bezieht sich auf die Flagge Biafras) von Chimamanda Ngozi Adichie nicht in allen Teilen für gelungen (aber das sagt sich eben so widerwärtig leicht aus einer deutschen Perspektive). Und doch wirft schon der Trailer der Verfilmung ein paar Blitzlichter auf ein Land, in dem westliche Bildung nicht verboten ist, sondern vielmehr die einzige Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs darstellt.

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