[Anmerkung: Dieser Text ist 2009 erschienen und behandelt folglich die Staffel vom vergangenen Jahr. Ich finde ihn allerdings immer noch sehr passend, deshalb gibt es ihn heute, aus dem gegebenen Anlass, dass gerade schon wieder eine Staffel läuft.]
In der vorvergangenen Woche gab sich Popstars-Jurorin Michelle Leonard bitter enttäuscht. Ihre Zöglinge hatten „versagt“; sie waren „gescheitert“, wie einige von ihnen in vorauseilendem Gehorsam selbst bekundeten. Die moralinsaure Anklage meinte nicht die Performance der Kandidaten in der wöchentlichen „Entscheidungsshow“, sondern deren textvergessenes Auftreten vor einem dieser „echten Kunden“, die mittlerweile auch für Popstars eine entscheidende Rolle spielen. Wie in Germany´s Next Topmodel von Anfang an praktiziert, werden bei der Band-Casting-Show die Kandidaten nun ebenfalls schon während des Drehs vermarktet, soll heißen: Sie bekommen die „Chance“ auf einen „echten Job“, i.e. in einem Werbespot-Jingle zu singen. Dass das mit einem Künstlerdasein noch weniger zu tun hat als aller Ziel „die Band“, fällt den Teens und Twens freilich nicht mehr auf: Seit Monaten inszeniert man für sie den absoluten Ausnahmezustand, dessen Regeln gleichsam minütlich neu festgelegt werden. Mal sollen sie Stärke beweisen, mal Schwäche; mal Egoismus, mal Anpassungsfähigkeit; mal sollen sie präsenter sein, mal sich zurücknehmen. Da kann man schon mal vergessen, dass der „echte Job“ womöglich unter falschen Bedingungen stattfindet.
Tatsächlich ist Popstars kein Wettbewerb, den man verlieren oder gewinnen kann. Sondern eine öffentlichkeitswirksame Erziehungsanstalt, in der ProSieben den kaugummiweichen Nachwuchs für seine Einkünfte jenseits des Bildschirms heranbildet. Eine solche Erweiterung der Geschäftsfelder ist längst beschlossene Sache, das beweist die zunehmende Bedeutung, die der Tochterfirma und Künstleragentur Redseven Artists konzernintern zukommt – seit diesem Jahr hat sie das jeweilige „Topmodel“ exklusiv unter Vertrag -, sowie die Gründung eines „Profit Centers für Live-Entertainment“. Mit einer Fernsehsendung hat Popstars folglich immer weniger zu tun, es dient nurmehr als ein Marketing-Instrument unter anderen, um die Jugendlichen auch nach der Ausstrahlung noch eine Zeitlang an den werbetreibenden Mann – den mit den „echten Jobs“ – zu bringen. Und weil der zahlt, schafft er natürlich an: Als ein Teilnehmer bei besagtem „echtem Casting“ darauf hinwies, wie nervös alle seien, da sie so etwas noch nie gemacht hätten, fand Michelle Leonard das nur blamabel. „Den Kunden“ mit seinen asozialen Anforderungen konfrontieren, wo gibt´s denn sowas! Und so wird wohl auch Kandidatin Esra bald kein Problem mehr damit haben, wenn ihr der Rock beim Tanzen wieder einmal so hoch rutscht, dass man einen wunderbaren Blick auf ihr Höschen erhaschen könnte. Bei ProSieben nennt man das schließlich „professionell“.
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