Den Keller in Horst Seehofers Ferienhaus in Schamhaupten gibt es. Genau wie die Modelleisenbahn, die darin steht und die dem bayerischen Ministerpräsidenten angeblich große Freude bereitet. Nur derjenige, der in seiner Reportage „Am Stellpult“ von diesem Keller und dieser Freude an der Modelleisenbahn erzählt, hat weder den Keller noch die Freude je mit eigenen Augen gesehen – weshalb man ihm den am Freitag für „Am Stellpult“ verliehenen Henri-Nannen-Preis für die beste Reportage des Jahres am Montag wieder aberkannt hat. Soll heißen (und darüber lohnte das Nachdenken durchaus): Nur die Augenzeugenschaft macht aus einem Text eine Reportage, da können die Fakten noch so richtig sein.
Dass sich die Debatte über Realität und Fiktion an einer Modelleisenbahn entzündet, ist natürlich herzig: Es gibt wohl kein harmloseres Ding, um des Kleinbürgers demiurgische Sehnsucht besser zu befriedigen. Womit wir dann auch schon beim SPIEGEL wären, dem – wie Michalis Pantelouris ja schon festgestellt hat – auch nichts Besseres eingefallen ist, als die Metapher zu wiederholen, statt deren Piefigkeit auszustellen. Wenn Seehofer sich mittels einer „Märklin Ho im Maßstab 1:87“ als Herrscher über die politische Landschaft imaginiert, dann hält sich der SPIEGEL freilich daran: „Seehofer hat sich in Schamhaupten eine Welt nach seinem Willen geformt, er steht dort am Stellpult, und die Figuren in den Zügen setzen sich in Bewegung, wenn er den Befehl dazu erteilt.“
Und es ist vermutlich kein Zufall, dass er sich so brav daran hält. Denn der Maßstab 1:87 trifft die SPIEGEL-Prosa ziemlich genau: In vielen Porträts und Reportagen dieses Magazins wird rhetorisch vorgegeben, man blicke hier in Gehirne und durch Schlüssellöcher. Jedoch bestehen diese Gehirne und Schlüssellöcher nicht selten aus Erzähltem, Gehörtem, Imaginiertem und nicht zuletzt aus banalen Klischees von Macht und Männlichkeit. Als wären die Redakteure allesamt bei der Yellow Press in die Schule gegangen. Und genauso wenig wie ich der Yellow Press ihre Nähe zu den Prominenten abnehme, genauso wenig kann ich noch an die Intimität zwischen SPIEGEL und der großen weiten Welt glauben; allein schon deswegen, weil er sie so andauernd behauptet, dass der (wenigstens gefühlte) Mangel daran offensichtlich wird.
Vielmehr kommt mir jeder Text vor wie eine Modelleisenbahn, auf deren Loks und Waggons die Redakteure kleine Porträtfotos von Politik- und Wirtschaftsgrößen geklebt haben, um dann glücklich dabei zuzugucken, wie sie ihre Runden nach ihren Maßgaben und -stäben drehen: Ui, jetzt lassen wir aber mal die Schranke runter! DER SPIEGEL hat sich in Hamburg ganz offensichtlich eine Welt nach seinem Willen geformt, er steht dort am Stellpult, und die Figuren in den Zügen setzen sich in Bewegung, wenn er den Befehl dazu erteilt. Denkt er zumindest, weil er den Maßstab völlig aus dem Auge verloren hat.
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