Schon verwunderlich, dass noch niemand eine Kulturgeschichte der Affäre geschrieben hat. Denn die würde noch einmal anderes ans Licht bringen als die politische Historie. Allein die nationalen Unterschiede! In den USA etwa versteht man den Begriff recht buchstäblich als außerehelichen Verkehr und sucht deshalb, wenn Wahlen anstehen und ein Kandidat aus dem Feld geräumt werden soll, zuallererst unter der Gürtellinie beziehungsweise nach Spermaflecken an Frauenkleidern und/oder auf Hotelzimmerteppichen. In Italien wiederum ist das Wort längst nicht so negativ behaftet – und offensichtlich bekümmert sich das Volk eher wenig sowohl um die sexuellen als auch um die finanziellen Beziehungen seines Staatschefs. Der Zusatz „poco polito“, nicht ganz sauber, den man der Angelegenheit namens „affare“ im Italienischen schon geben muss, damit die Verwerflichkeit benannt ist, hört sich nicht zufällig so harmlos an, liebt man dieses Land doch gerade für la dolce vita, die sich um die Hygiene eher wenig Sorgen macht.
Und die Deutschen? Ach, da bleibt einem nur ein Seufzen über die viel zitierte Prüderie. Wo der Rest der Welt das duftige Genitale beschnüffelt, um fündig zu werden, da schnuppern die Deutschen immer wieder nur auf der Hinterseite. Deutsche Schimpfwörter, das weiß die Sprachwissenschaft, zeichnen sich vor allen anderssprachigen durch ihre Vorliebe fürs Anale aus – und ins selbe Horn blasen auch die Affären, die man sich hierzulande ausdenkt, um missliebige Kandidaten aus dem Rennen zu werfen. Der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel zum Beispiel wollte im Jahr 1987 die Landtagswahl so unbedingt gewinnen, dass er den Bild-Zeitungs-Reporter Reiner Pfeiffer engagierte. Und was fiel dem ein? Natürlich die Diskreditierung des SPD-Konkurrenten Engholm als Homosexueller.
Das andere große deutsche Tabu, das Pfeiffer freilich ebenfalls ins Feld führte, ist der Betrug des Amtsträgers am Staat. Das ist es also, was man hierzulange als außereheliche Affäre begreift und tatsächlich immer wieder zu außergewöhnlichen Erregungen führt. Engholm wurde von Pfeiffer anonym der Steuerhinterziehung bezichtigt, aber auch später und bis heute ist das der Stoff, aus dem man hofft, Skandale zimmern zu können: Minister, die ihre Putzfrauen schwarz bezahlen, den Dienstwagen oder das Dienstflugzeug für private Zwecke nutzen und dann womöglich noch den Lebenspartner mitnehmen. Jüngster und ziemlich peinlicher Höhepunkt dieser langen Reihe bürokratischer Skandale, die nie so recht welche werden wollten, ist die GEZ-Anmeldung von Bernd Hilder, seines Zeichens Chefredakteur unter anderem der Leipziger Volkszeitung und Wunschkandidat der sächsischen Landesregierung für den Posten des MDR-Intendanten. Das Kreuz, das er in das Ja-Kästchen gesetzt hat, um zu bestätigen, dass er seine Geräte angemeldet hat, soll er angeblich um ein „leider“ ergänzt haben. Bei der Wahl fiel Hilder schließlich mit Pauken und Trompeten durch – nicht wegen dieses „leider“, wie es heißt, sondern wegen des Drucks, den die CDU im Vorfeld ausgeübt hat. Nun tönt das Lob der Staatsferne wieder laut – und doch schienen ein paar Beamte zu hoffen, Hilder just mit dessen eigener Staatsferne eins auswischen zu können.
Das bürokratische Fehlverhalten ist offensichtlich das einzige, was uns geblieben ist, nachdem man – sofern man nicht Charlotte Roche heißt – die Bürger nicht einmal mehr mit Analitäten noch hinterm Ofen vorlocken kann. Oder hat das eine einfach nur im anderen überlebt? Auch darauf ließe sich tatsächlich mit einigem Recht antworten: Ja, leider.
Noch ein kurzes P.S.: Dieser Text ist unter Zeitdruck entstanden und deshalb etwas merkwürdig geworden. Ich hoffe, man nimmt´s mir nicht übel …