Die Leichtigkeit, mit der manche die Politik kritisieren, während sie selbst sich das Leben so einfach wie nur möglich machen, ist wahrlich verblüffend. Beispiele dafür gibt es mehr als genug, ja, viel zu viele: Man verlangt den totalen Datenschutz, stattet sich aber zugleich großzügig mit Apple aus; man jammert über den Verfall des stationären Buchhandels, legt sich aber selbstredend einen Kindle zu; man kritisiert Google und Facebook, ist aber gleichzeitig nirgends so präsent wie in diesen beiden Netzwerken. Nicht dass jemand nun meint, ich plädierte für die Abschaffung all dieser Gadgets und Techniken, das liegt mir tatsächlich fern. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man die Verantwortung für sein Tun nicht einfach mit dem Hinweis auf Adorno oder ein „Ist ja nirgends besser“ loswird. In meinen Augen ist die hehre Hoffnung, dass der Bürger des 21. Jahrhunderts per Konsum eine bessere Welt kreiert, jedenfalls gründlich gescheitert. Es kann ja sein, dass es theoretisch möglich wäre, allein: Die meisten tun das nicht, im Gegenteil. Konsum scheint die meisten Menschen vielmehr von all ihrer Verantwortung freizusprechen. Als hätten sie sich ihrer einfach mit der Bezahlung entledigt.
Womit ich bei dem zweiten Grund dieses Textes wäre, denn das ist der Hinweis von The Millions auf diese Folge von „This American Life“, in der der „Monologist“ Mike Davies von seinem Besuch bei den iPhone-Fabriken in China erzählt: Einst ein Apple-Gläubiger mausert er sich darin zum Blasphemiker. Mir geht es seit einigen Wochen ähnlich, und dazu muss man nicht nach China fahren: Ich besitze ein iPhone (aber – vermutlich nicht mehr als ein peinlich gewissenhafter Hinweis an dieser Stelle – wenigstens keinen Kindle, sondern einen Sony-E-Reader) und fühle mich stetig unwohler damit, einfach weil ich nicht so tun kann, als wüsste ich nicht, dass es unter Arbeitsbedingungen entsteht, die ich nicht gutheißen kann und deshalb eigentlich nicht verantworten möchte. Aber genau das tue ich, wenn ich mir so ein Telefon zulege, denn natürlich bin ich für diese Bedingungen mitverantwortlich, ich bezahle sogar dafür, dass sich daran möglichst wenig ändert. So viel zum demokratischen Potential des Konsums: Wikipedia listet fast 150 Millionen verkaufte iPhones, und das heißt auf Deutsch: fast 150 Millionen Mal die Entscheidung für individuellen Luxus und gegen Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Und wir wollen unserem Bundespräsidenten erzählen, was Integrität und persönliche Verantwortung bedeutet? Really?
P.S. um 23.50 Uhr: Natürlich darf man den Bundespräsidenten für sein Verhalten kritisieren, auch wenn man ein iPhone besitzt. Nur finde ich die Verve, mit der das geschieht, doch merkwürdig angesichts dessen, dass andere Dinge – wie etwa die Arbeitsbedingungen der iPhone-Zusammenbastler – nicht mal annähernd dieselbe Aufmerksamkeit erfahren. Das wäre doch schön: wochenlange, unausgesetzte und aufgeregte Aufmacher-Berichterstattung von Spiegel Online über Apples ‚Engagement‘ in China. Dann dürfte sich die Presse vielleicht auch endlich wieder als „Vierte Gewalt“ bezeichnen. Aber, klar: Das kostete SpOn vermutlich Klicks, denn davon wollen SpOn-Leser natürlich lieber nichts wissen, weil es sie ja selbst beträfe.
Pingback: Too much information - Papierkorb - Lesezeichen vom 11. Januar 2012
Pingback: Too much information - Papierkorb - Lesezeichen vom 11. Januar 2012