Gegen große Erzähler lässt sich selbstredend nichts einwenden. Ich persönlich aber, und das ist kein Geheimnis, habe eine sehr, sehr große Schwäche für literarische Experimente (die von einigen gerne als bloße ‚Spielereien‘ belächelt werden). Insofern war ich mir schon vorher recht sicher, dass mir Matthias Senkels Debütroman „Frühe Vögel“ gefallen wird, da es sich um ein herrlich verqueres Buch handelt. Allerdings schätze ich das Experiment natürlich nicht per se; es muss schon irgendeinen Sinn haben. Und gerade das gelingt Senkel meiner Meinung nach auf besonders kluge Art und Weise.
Kurz gesagt erzählt der Roman die Geschichte einer fluglustigen Familie; im Zentrum steht ein gewisser Theodor Leudoldt – wobei man hinsichtlich dieses Romans gerade nicht von einem Zentrum sprechen sollte, denn just solchem Zentrismus widerspricht Senkel vehement. Das gefällt mir überaus gut, schließlich handelt dieses Buch gewisser Weise auch von astronomischen Ordnungen, und denen hat man in der Vergangenheit allzu gerne zentristische Strukturen untergeschoben – nur um diese Sichtweise bald wieder revidieren zu müssen.
Zudem bemerkenswert, wie der Autor diese Systeme unterminiert: Er spielt ausgerechnet die Literatur gegen die Sprache aus, einer der mithin heikelsten Unternehmungen der Literatur. Zwei Kapitel dieses Buches nämlich gliedern sich in einzelne Abschnitte, die jedoch von Senkel nicht chronologisch, sondern entsprechend ihrer stichwortartigen Überschriften alphabetisch geordnet wurden. Man ist also dauernd am hin und her Blättern („weiter bei ‚Fesselballon‘“…), was den charmanten Nebeneffekt hat, dass man nie genau weiß, wie viel von diesem Kapitel man nun eigentlich schon gelesen hat. Gleichsam nebenbei spielte Senkel also auch noch ein analoges As aus: Im Netz genügte ein Klick, und man wäre beim nächsten Stichwort, ohne dass man die Differenz zwischen literarischer Chronologie und ‚sinnlosem‘ Alphabet überhaupt bemerken würde. Senkel dagegen verpflichtet den Leser aufs Blättern – eine Tätigkeit, die man in dieser Intensität nurmehr selten erfährt.
Zu guter Letzt muss ich noch eines zurücknehmen, was man womöglich falsch verstehen könnte: Dass ein Schriftsteller sich nicht zwischen Erzählen und ‚Spielerei‘ entscheiden muss, beweist Matthias Senkel eindrücklich. Denn der 1977 geborene Autor ist ein großartiger Erzähler. Den anachronistischen Duktus hat er perfekt drauf, ohne sich darüber lustig zu machen, aber mit dennoch ziemlich angenehmem Talent für hübsche Pointen, über die ich mich auch jetzt noch amüsieren kann, weil er sie vor allem aus der Metaphorik sowie den zeitgenössischen Diskursen und eben nicht aus dem vermeintlich ach so echten Leben zieht. Und wie immer beweist wieder einmal bereits der erste Satz, dass „Frühe Vögel“ ein unbedingt empfehlenswertes Buch ist. Der lautet nämlich:
„– draußen.
Dieser Roman beginnt also mit einem Anführungszeichen, einem Gedankenstrich und einer Deixis. Letzteres bringt die Sehnsucht der Schrift nach dem Anderen (der Realität, dem Jenseits etc.) bestens auf den Punkt, während das Anführungszeichen die Medialität des Ganzen und der Gedankenstrich die Stille bzw. das Ungehörte am Ursprung (vor dem Einsetzen des Romans) markiert.
Was ich mit alldem sagen will: Bitte lesen, denn das ist ein klasse Roman und noch dazu ein großer Spaß.