Am Samstag, den 18. Oktober, war wieder einer dieser Tage, wie ich sie in jüngster Zeit immer öfter erlebe. Ein Tag, an dem man morgens die Zeitung aufschlägt – und sie vor Ärger bald wieder zuschlägt, weil der Wille zur Aufklärung, den ich immer für die eigentliche Motivation von JournalistInnen gehalten habe (meinetwegen, dann nennt mich eben naiv), bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird nicht nur von der längst üblichen Schlamperei, was Rechtschreibung, Bildunterschriften und Fakten im Allgemeinen angeht, sondern vor allem von jenem Populismus, der das Gegenteil der Aufklärung darstellt und einzig und allein der Abwendung des drohenden Untergangs geschuldet ist. Viel zu viele Zeitungen und noch dringlicher deren Online-Portale scheinen wenig bis gar kein Interesse mehr an Informationsvermittlung zu hegen. Sie wollen sich verkaufen, und sonst gar nichts.
Eine Reaktion auf den zweifellos nahenden Tod der Tageszeitung präsentierte die Süddeutsche Zeitung an jenem 18. Oktober: die neue SZ am Wochenende, die ahnen lässt, wie sich die Süddeutsche Zeitung ihre Zukunft als Wochenzeitung vorstellt. Ein paar Bücher sind hinzugekommen, darunter selbstredend jener unvermeidliche „Stil“, der (genau wie fast alle Magazine von Tageszeitungen) keine andere Funktion hat, als den Werbekunden zu beweisen, dass Konsumprodukte auch redaktionell aufbereitet hübsch aussehen können. Am stolzesten ist man im SZ-Hochhaus aber vermutlich auf das, was bei der ZEIT Dossier heißt und bei der SZ also anders heißen muss und also „Buch Zwei“ heißt. Ich mag den Namen, aber das liegt offensichtlich nur daran, dass ich den Branchensprech verstehe; Freunde und Freundinnen von mir, die von der Presse keine Ahnung haben, fanden diesen Namen einfach nur doof. Ich dagegen war allererst entsetzt von dessen Aufmachung und Inhalt.
Da die SZ hier etwas Neues macht und folglich bestimmt ein wenig auf den Putz hauen wollte, darf man annehmen, dass sie sich für ihr erstes Buch Zwei einen Text ausgesucht hat, der sofort und rundherum klar macht, warum es das Buch Zwei braucht und was daran so exzeptionell ist. Die Länge allein kann und darf schließlich kein Argument sein (ist es in unseren durchformatierten Zeiten natürlich doch, ich weiß schon). Gut, um es nicht zu spannend zu machen: Das Buch Zwei handelte am 18. Oktober, bei seinem ersten Auftritt, von der Terrorgefahr in Deutschland. Schon im Untertitel wurde der Grundton angestimmt, der auch den Artikel durchzog (und eventuell den eher dünnen Informationsgehalt übertünchen sollte): Die neue Generation von Islamisten sei „so gefährlich wie nie zuvor“, heißt es da, und auch im Text wird ordentlich angstmachend geraunt. Die Hälfte jeder Seite ist mit – freilich ein Problem, das dem Thema geschuldet ist – nichtssagenden Bildern, vornehmlich von Überwachungskameras, illustriert, die gleich der Flipchart eines polizeilichen Ermittlers mit Pins und Fäden mit verschiedenen Orten auf einer Deutschlandkarte verbunden sind. Die Botschaft ist klar: Das Netz der islamistischen Bedrohung spannt sich über unser aller Vaterland!
Die Fragen, die ich angesichts des Aufstiegs des IS habe – Wie kann es sein, dass diese Ideologie so viele junge Menschen fasziniert? Warum sind Demokratie und Humanismus keine Ziele mehr? Und so weiter … – hat das Buch Zwei nicht beantwortet, und ich hatte nicht einmal den Eindruck, dass es sie überhaupt stellen wollte.
Zum Glück brachte der Postbote wenig später die Wochenendausgabe der Zürcher Zeitung, und zum Glück handelte der Aufmacher – nicht im Feuilleton oder im zweiten Buch, sondern auf der ersten Seite – von der Attraktivität des Islamismus für die Generation der 15- bis 25-Jährigen und formulierte auf seiner Suche nach Antworten kluge Gedanken, die sich arg verkürzt in den Begriff der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ fassen lassen. Es mag an mir liegen, aber: Das sind Artikel, die mich zum Nachdenken anregen. Während das Buch Zwei der SZ mich nur ärgerlich, verängstigt und uninformiert zurückgelassen hat. Es bedrückt mich ehrlich, aber für diese Art des „Journalismus“ sehe ich ganz sicher keine Zukunft. Denn wer die Leser für dumm verkauft, der muss sich nicht wundern, wenn die bald das Interesse am Lesen verlieren.