Solitary
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Solitary

Die bekannteste Methode der Weißen Folter ist die sogenannte Isolationshaft, bei der das Opfer innerhalb eines Gefängnisses oder einer ähnlichen Einrichtung durch Methoden und Formen der sozialen Deprivation und der sensorischen Deprivation weitgehend von sozialen Bedürfnissen (unter anderem zwischenmenschlicher Kommunikation, Zeitungslektüre, Radio-, Fernsehkonsum) und von substanziell notwendigen organisch-sensorischen Sinneseindrücken (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten) abgeschnitten (depriviert) wird. Sie bewirkt unter anderem erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des vegetativen Nervensystems sowie der Wahrnehmung und der kognitiven Leistungsfähigkeit und zielt auf die Zerstörung des psychischen Gleichgewichts ab, um den Gefangenen etwa zu einem Geständnis, zur Zusammenarbeit mit seinen Folterern zu zwingen oder ihn psychisch zu zerstören.

Weitere Methoden der Weißen Folter sind beispielsweise der strafend eingesetzte Schlafentzug, Reizentzug (etwa Dunkelhaft oder langer Aufenthalt in einer Camera silens), Scheinhinrichtungen, auch weniger geläufige Folterarten wie Sauerstoffmangel-Folter oder Waterboarding, langfristiges Stehenlassen in angespannter Haltung (bei welchem das Opfer Schmerz durch die unnatürliche Dauer der Muskelanspannung bzw. Belastung erleidet, den es als durch sich selbst verursacht erleben soll), Kitzeln, Erregen von Übelkeit bei Menschen mit Kinetose sowie allgemein entwürdigende und entmündigende Behandlung: Nacktheit, gezieltes Verwahrlosen-Lassen, Verlangen totaler Unterordnung, Behandlung als „krank“ oder „gestört“ auch mit „Schocktherapien“ („Insulinschocktherapie“, „Elektrokrampftherapie“), Verletzung des Schamgefühls als sogenannte „Schamfolter“ und provozierte Desorientierung, z. B. durch Fixierung/Fesselung auf einem dreidimensional verstellbaren Drehsessel.

Im fließenden Übergang zur körperlich schädigenden Folter werden u. a. folgende Methoden angewandt: Schütteln (vgl. hierbei bereits beschriebene körperliche Schäden/Todesfolgen ähnlich denen des Schütteltraumas), bewusste Unterkühlung oder Überhitzung im Raum des Gefangenen (vgl. Dehydratationssyndrome), Beschallung der Gefangenen mit ohrenbetäubendem Lärm (vgl. Hörschäden wie bleibende Ohrgeräusche und objektivierbare Hörminderungen).

Stimmt, das ist ein Auszug aus dem Wikipedia-Artikel zum Stichwort „Weiße Folter“. Ganz zufällig beschreibt er aber auch überraschend viele Elemente der neuen Pro-Sieben-Show „Solitary“, die sich selbst so vorstellt:

Neun Kandidaten, sind auf jeweils acht Quadratmetern maximal zehn Tage und Nächte ganz auf sich allein gestellt. Kein Zeitgefühl, keine Kommunikation mit den Mitspielern – dafür warten jede Menge persönliche Herausforderungen in der neuen Prime Time Show „Solitary – Besieg dich selbst“: […] Pro Folge werden zwei Spiele gespielt, ein „Safety-Spiel“ und ein „Entscheidungsspiel“. […] Das Entscheidungsspiel [in der ersten Folge]: Schlafenszeit für die Kandidaten. Doch in regelmäßigen Abständen [das ist falsch: Es handelte sich vielmehr um unregelmäßige Abstände, KS] werden sie von „Looking for freedom“ von David Hasselhoff geweckt. Anschließend müssen sie einen Code in eine Tastatur eingeben. Der Code wird von Runde zu Runde länger. Nur wer den Code richtig eingibt kann bis zur nächsten Runde ohne die wunderbare Musik weiterschlafen.

Das geschmacklose Essen bekommen die Kandidaten nicht, wenn sie Hunger haben, sondern, wenn die Regie der Show das will; zum Waschen steht nur eine Wasserschüssel bereit; Temperaturanstiege und -abfälle wurden bereits angekündigt. Im „Safety-Spiel“ der zweiten Folge ging es darum, in einer Box, deren Innenraum ich auf etwa 2 Kubikmeter schätzen würde, 90 Minuten abzusitzen (ohne Uhr). Im „Entscheidungsspiel“ mussten sich die Teilnehmer möglichst lange auf eine nach dem Vorbild eines Nagelbretts mit Dübeln gespickte Platte stellen. Dabei konnten sie wählen, ob sie diese „schmerzhafte Lektion“ barfuß, mit einer Luftblasenfolie oder Badelatschen ertragen wollen: „Wer wird sich im Entscheidungsspiel für den leichten Weg entscheiden? Und wer geht tatsächlich an seine Grenzen?“ fragte eine Stimme aus dem Off, die wohl nach Domina klingen soll und den Computer namens Alice darstellt, der für all diese „Spiele“ verantwortlich zeichnet.

Gewinnen kann man bei Solitary einzig und allein den Titel „Super-Solitary-Champion“. Was so viel bedeutet wie: Gewinnen kann man nur die von einem TV-Sender attestierte Aussage, dass man sich für einen Hauch Prominenz auch foltern lässt, und zwar länger und gehorsamer als alle anderen. Ob die Macher dieses Formats sich lautstark erheitern über die „Kandidaten“, wenn sie das Material zusammen schneiden, möchte ich mich lieber nicht fragen. Denn leider kann ich mir gut vorstellen, dass sie das tun. Dass die Teilnehmer jederzeit gehen können, wird jedenfalls immer wieder (und ich würde behaupten: mit Lust) betont, sowohl von „Alice“ als auch von der Moderatorin Sonya Kraus. Wie es eben immer läuft bei solchen Shows und Formaten: Der Hinweis darauf, dass alle freiwillig an diesen „Spielen“ teilnehmen, soll deren Existenz rechtfertigen und unangreifbar machen. Das mag bei Big Brother und ähnlichem vielleicht noch durchgehen, denn Artikel 1 der deutschen Verfassung mag in Grenzfällen Auslegungssache sein, so etwas wie die Würde ist tatsächlich schwer zu fassen. In Sachen Folter sind die Gesetze allerdings recht klar. Nochmal die Wikipedia, diesmal aus dem Artikel „Folter“:

Völkerrechtlich enthalten Artikel 5 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein Folterverbot:
Art. 5: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“
Art. 3: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Ob einer das freiwillig mit sich machen lässt oder nicht, ist also ganz egal: Folter ist verboten. Ich frage mich nur, wieso deren Methoden dann am Samstagabend als Primetime-Unterhaltung vorgeführt werden dürfen.

Nachtrag: Hier und hier sieht man das ähnlich.

2 Kommentare

  1. Pingback: Pissau – ganz oben » Blog Archive » Das Fernsehen foltert

  2. Savoyer

    Mensch und Gesellschaft sind so wunderschön einheitlich in ihrer Widersprüchlichkeit. Weitere Gegenüberstellungen drängen sich geradezu auf:
    – Kurzbericht über einen unfreiwilligen Aufenthalt in Guantanamo;
    – Kurzbericht über einen teuer bezahlten Langzeitaufenthalt bei einer Domina.

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