Das Geheimnis, das keines ist
Das Geheimnis, das keines ist

Das Geheimnis, das keines ist

War das ein Frohlocken! Vor allem in Deutschland. An fünf westliche Zeitungen hatte WikiLeaks seine neuesten Enthüllungen verteilt, an den britischen Guardian, die New York Times, die spanische El País, die französische Le Monde und den deutschen Spiegel. Die Fragen, die Letzterem am offensichtlich dringlichsten auf den Nägel brannten: „Wie schätzen die Amerikaner die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ein? Ist die Politikerin aus der ehemaligen DDR eine verlässliche Verbündete, hat sie sich bemüht, das unter ihrem Vorgänger belastete Verhältnis zu den USA zu reparieren?“

Porträts von Merkel und elf ihrer internationalen Kollegen im Polaroid-Stil zieren das zugehörige Titelblatt mit der Schlagzeile „ENTHÜLLT – Wie Amerika die Welt sieht“. Ein jedes Bild ist mit einem bösen Zitat über deren jeweiligen Charakter garniert; die Typografie zitiert, versteht sich, die guten alten Geheimdienst-Zeiten mittels Schreibmaschinen-Lettern. Im Schutz der Anführungszeichen darf man also noch lauter als bisher sagen, wie unfähig die Politiker dieser Welt sind. Was jedoch ein weiteres Mal nicht mit Fakten nachgewiesen wird, sondern rein rhetorisch. Über Guido Westerwelle sagt einer, er sei aggressiv, über Angela Merkel, sie sei selten kreativ, Wladimir Putin wird als Alpha-Rüde und Nicolas Sarkozy als Kaiser ohne Kleider bezeichnet. Ein Juchzen muss durch die Redaktionen gegangen sein ob dieser gleichsam offiziellen Bestätigung der eigenen Ansichten. Die Boulevardisierung der Angelegenheit stellt bloß eine Übersprunghandlung dar.

Als Meilenstein-Enthüllung wird mithin gefeiert, was in der Branche ohnehin dauernd behauptet wird. Und das darf man sich durchaus auf der Zunge zergehen lassen: Diplomaten aus den USA nehmen in unfreiwilliger Zusammenarbeit mit WikiLeaks den europäischen Zeitungen die Meinungsarbeit ab und die geraten vor Freude darüber völlig aus dem Häuschen. So tiefe Einblicke ins düstere Herz der Medien wollte man eigentlich lieber nicht haben. Oder anders gefragt: Wie entfremdet von dem eigenen Beruf muss man sein, um despektierliche Äußerungen, die nur im abgeschotteten Raum überhaupt so fallen konnten, für eine Topstory des investigativen Journalismus zu halten?

Der Spiegel erklärt sich: „Dass es jetzt möglich ist, viele politische Entwicklungen rund um die Welt in den Worten der beteiligten Akteure zu dokumentieren und dadurch die Welt besser zu verstehen, ist Grund genug, manche staatlichen Geheimhaltungsvorschriften zugunsten größerer Transparenz hintanzustellen.“ In nicht ganz so schönen, aber gleichbedeutenden Worten behaupten auch Klatschpresse und Reality-TV immer wieder die gesellschaftliche Relevanz ihrer unsittlich intimen Berührungen von mehr oder weniger bekannten Menschen. Obwohl tatsächlich nur die Öffentlichkeit in ihre personalisierten Kleinstteile zerlegt wird, damit sie ja keinen Begriff mehr von sich hat. Als Begründung heißt es stets: Aber wenn es doch die Wahrheit ist! „Wenn Jemand ein Ding hinter einem Busche versteckt“, schreibt Nietzsche über die so genannte Wahrheit, „es eben dort wieder sucht und auch findet, so ist an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen.“

Dass es sich keine der genannten Zeitungen hätte leisten können, die Dokumente nicht zu veröffentlichen, ist das andere Problem des von WikiLeaks bereits als „Cable Gate“ bezeichneten Vorgangs: So sehr sich die Journalisten nun wieder in ihrer Funktion als Informationsordner bestätigt fühlen und deshalb Lobeshymnen auf den eigenen Stand singen, so blind scheinen die meisten für die Marionettenrolle, die sie im selben Moment womöglich spielen.

(Dieser Text wurde ursprünglich für den FREITAG geschrieben, dann aber durch einen anderen von mir, mit dem er immerhin noch ein paar Sätze oder Ausdrücke gemein hat, ersetzt, deshalb gibt es ihn nun hier; der anderen kann man ab Donnerstag im FREITAG lesen)

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