Bereits zum zweiten Mal wird parallel zum Preis der Leipziger Buchmesse auch ein Publikumspreis vergeben. Das Voting dafür erfolgt online, die Aufforderung zur Abstimmung lautet:
Entscheiden Sie, wer Publikumsliebling 2011 beim diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie ‚Belletristik‘ wird!
Dieser Satz lässt nicht nur – die Gänsefüßchen um die Genrebezeichnung „Belletristik“ mal außen vor gelassen – die Frage aufkommen, ob man beim „diesjährigen Preis der Leipziger Buchmesse“ womöglich auch „Publikumsliebling 2005“ oder „Publikumsliebling 2008“ werden könnte, sondern erklärt zudem recht unmissverständlich, dass er hier um die Personen, die Autorinnen und Autoren, geht und sicher nicht um deren Literatur. Tatsächlich machen bei dieser Abstimmung just jene TeilnehmerInnen den größten Gewinn, die die Bücher, über die sie da richten, am wenigsten, ja am besten gar nicht kennen. Denn:
Als Hauptpreis verlosen wir ein Buchpaket mit allen fünf nominierten Büchern …
Einen Publikumspreis, der Unkenntnis belohnt, halte ich dann doch für reichlich verfehlt. Publikumspreise dienen (oder muss man sagen: „dienten“?) eigentlich dazu, einer Jury von wenigen vermeintlichen Profis die Meinung von vielen vermeintlichen Laien entgegen zu setzen; auch aus Neugier, ob dabei nun unterschiedliche oder dieselben Ergebnisse herauskommen.
Ich fand es angesichts der Hotlist 2009 schon schwierig, dass der Preis allein aufgrund eines Onlinevotings vergeben wurde – da ich mir nunmal kaum vorstellen kann, dass sonderlich viele Abstimmende auch nur einen Bruchteil der wirklich sehr vielen Bücher, die da zur Wahl standen, gelesen und verglichen hatten, bevor sie ihr Kreuzchen hier oder da gemacht haben. Und der Autor folglich höchstens auf seine Fangemeinde stolz sein konnte, nicht jedoch darauf, dass sein Buch „besser“ ist als andere. Allerdings waren sich die Hotlist-Erfinder dieses Problems wohl bewusst, denn schon im darauffolgenden Jahr wurde eine Jury eingesetzt, die über die – zur Hälfte von einer Vorjury, zur anderen Hälfte durch ein Onlinevoting – nominierten Bücher entscheidet.
Ein anderes Modell ist der Preis der Marler Gruppe, der parallel zum Grimme-Preis verliehen wird. Deren Jury setzt sich aus den so genannten „normalen“ Bürgern aller Altersstufen zusammen (mich freut besonders, dass immer viele Schüler dabei sind) – und guckt genau wie die anderen drei Jurys das ganze Programm, bevor über den Preis entschieden wird. Oder der Publikumspreis beim Bachmannwettbewerb: Auch da haben die meisten der Abstimmenden so gut wie alle Texte gehört und konnten sich folglich eine wohlüberlegte Meinung bilden. Genau, so gehen Publikumspreise! Und gerade deshalb kann man deren Bedeutung gar nicht hoch genug schätzen.
So, wie die Leipziger Buchmesse das macht, geht es, wie ich finde, dagegen gar nicht. Denn dieser Publikumspreis traut der Meinung der Masse gar nicht erst zu, dass sie fundiert sein könnte, sondern macht im Gegenteil aus seiner Geringschätzung dieser Meinung der Masse von vorneherein keinen Hehl. Das ist es nämlich, was der ausgelobte Hauptpreis, jenes „Buchpaket mit allen fünf nominierten Büchern“, bedeutet: Seid mal brav Stimmvieh, und wenn ihr Glück habt, erfahrt ihr nachher auch, worum es ging (obwohl es euch offensichtlich eh nicht die Bohne interessiert). Man gibt dem Publikum mithin gar keine andere Wahl als die personalisierte.
Und wofür bekommt man diesen Preis dann überhaupt? Dafür, dass man so ein lustiger Typ ist? Dafür, dass man so gut aussieht? Dafür, dass man todkrank ist? Ich könnte diesen Preis jedenfalls unmöglich als Ehrung verstehen. Mir erscheint er eher wie eine Beleidigung. Und zwar nicht nur des Autors, sondern mindestens in demselbem Maße auch des Publikums.