Verarmung des Geistes
Verarmung des Geistes

Verarmung des Geistes

Man kann viel über die Auswirkungen des WWW und der Digitalisierung auf die Produzenten von wissenschaftlichen und künstlerischen Werken fabulieren. Nicht selten werden sie gescholten, weil sie auf ein derart von der Realität längst überholtes Recht wie das Urheberrecht beharren. Jenseits dessen, dass ebendieses Recht unsere bürgerliche Gesellschaft grundiert und dessen Abschaffung deshalb ganz zurecht sehr kritisch beäugt wird, vergessen viele der Propheten eines „social contents“, dass längst die nackte Angst in der Geistesbranche herrscht. Denn diese Geistesbranche existiert ohnehin nur noch, weil sie ihre Mitarbeiter so schlecht als irgend möglich bezahlt und ihnen zudem mehr und mehr Arbeit aufhalst (die Arbeit derjenigen nämlich, die bereits komplett eingespart wurden).

Und bevor mich hier jemand des „Jammerns auf hohem Niveau“ zeiht: Mir geht es gar nicht um die konkrete Höhe des jeweiligen Gehalts, sondern allererst darum, dass diese Erniedrigungen, von denen ich hier nur fünf Beispiele anführen will, ganz offensichtlich System haben und also womöglich ein erstes Zeichen dafür darstellen, wohin die Reise gehen wird.

1) Ein Literaturkritiker berichtet, dass die Neue Zürcher Zeitung in den Jahren, die er nun schon für diese Zeitung schreibe, bereits dreimal das Zeilenhonorar gesenkt habe.

2) Ein promovierter, wissenschaftlich arbeitender Angestellter im öffentlich Dienst erhält ein Gehalt entsprechend der Entgeltstufe E 9, das sind etwa 1500 Euro netto (oder gut 9 Euro netto, unbezahlte Überstunden nicht eingerechnet). Befristeter Vertrag? Aber klar, was anderes gibt´s doch gar nicht mehr, um das Recht auf die Verbeamtung abzuwenden; es gebe schließlich keine Stellen mehr, sondern nur noch zeitlich begrenzte „Projekte“. Sein Doktortitel, nein, der ändere daran nichts, so eindeutig die Regelung auch sei. [Siehe Wikipedia: E 9 bis 12: „Beschäftigte mit abgeschlossener Fachhochschulausbildung (Bachelor bzw. Dipl.) und entsprechenden Tätigkeiten“; E 13 bis 15: „Beschäftigte mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulausbildung (Universitäts-Dipl. oder Master) und entsprechenden Tätigkeiten“.]

3) Ein Professor fragt seine Assistentin, was sie eigentlich verdiene. E 13, sagt die, das sind rund 2000 Euro netto. Ui, sagt der Professor, als ich Assistent war, waren das aber noch einige hundert Euro mehr (die Ablösung des BAT durch den TVL hat dahingehend ganze, nämlich buchstäblich erniedrigende Arbeit geleistet). Und die Arbeit, fügt er noch hinzu, war damals doch sehr viel weniger. (Aktuell kann man wohl 60-70 Wochenstunden rechnen, das bedeutet nicht einmal 8 Euro pro Stunde netto.)

4) Die Artikel eines freien Journalisten werden neuerdings und ohne sein vertragliches Einverständnis in einer anderen Zeitung desselben Verlagshauses ein weiteres Mal publiziert. Für die Zweitveröffentlichung erhält er zehn Prozent des ursprünglichen Honorars, d.h. einen Betrag zwischen 8 und 18 Euro.

5) Ein Mann mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium und einer entsprechenden Tätigkeit im öffentlichen Dienst berichtet, dass sein Vertrag nicht verlängert worden, er also ab November arbeitslos sei. Aber er sei doch bereits seit elf Jahren hier? fragt man zurück. Ja, schon, sagt er, aber die Verträge seien jeweils nur auf ein oder ein halbes Jahr befristet gewesen, weshalb daraus kein Rechtsanspruch erwachse. Welche Entgeltstufe er denn habe? Tja, neuerdings E6 (knapp 2400 Euro brutto), nachdem man ihn jüngst von E9 heruntergestuft habe. Objektive Gründe habe es dafür keine gegeben, nein, er sei definitiv keine Kinderpfleger/in, Heilerziehungspflegehelfer/in, Familienpfleger/in, Hauswirtschafter/in, Sozialassistent/in, Dorfhelfer/in oder Altenpflegehelfer/in (Erklärung der Entgeltstufe 6 laut Wikipedia), sondern verrichte vielmehr einen Job, der genau der Definition von E13 entspreche. Der offizielle „Grund“ lautete Geldmangel. Und der zugehörige Hinweis: Das tue einem natürlich leid, aber er müsse den Vertrag zu den neuen Kondition ja nicht verlängern, sondern könne selbstredend auch aufhören, hier zu arbeiten.

Soll heißen: Wenn hierzulande all diejenigen, die ihren Dienst in Wissenschaft und Kultur gestellt haben, tatsächlich angemessen bzw. nach Tarif bezahlt würden, dann gäbe es diese Wissenschaft und diese Kultur schon längst nicht mehr. Deshalb nur eine Bitte an die Verantwortlichen: Macht die Geistesinstitute dieses Landes doch besser einfach dicht, wenn ihr sie euch nicht leisten wollt, statt weiter von der Not der Leute zu profitieren und sie zu demütigen.

3 Kommentare

  1. Durch die wenn auch furchtbar bezahlte Tätigkeit ist der Geist doch noch nicht verarmt … man glaubt doch trotz dieser miserablen Bedingungen noch Geist erwarten und auspresen zu können

    zum letzten Fall: wenn 11 Jahre lang immer verlängert wurde, dann sollte der Herr schleunigst klagen, bei der dritten Verlängerung des Zeitvertrages besteht Recht auf Anstellung meiner Kenntnis nach

    Leider stimmt aber alles trotz dieser 2 kleinen Einwürfe …

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