Aktualisiert
Idealerweise leisten Überschriften zwei Dinge: Sie deuten ungefähr an, worum es gehen könnte, und machen (trotzdem) neugierig auf den Text. Ich finde Letzteres sogar wichtiger als Ersteres, aber da gehen die Meinungen bekanntermaßen auseinander. Als ich die Überschrift „iPad: Das kaputte Knie Gottes“ über einem Videobeitrag auf sueddeutsche.de las, war ich erst einmal irritiert. Allerdings genau andersherum als wohl die meisten anderen Leser, die vermutlich denken, es handle sich um einen Beitrag über das iPad und das „kaputte Knie Gottes“ sei irgendeine witzige Metaphorik, um dessen Dysfunktionalitäten zu beschreiben.
Im Gegensatz zu diesen Lesern, die also „iPad“ als Worum-geht´s-Info und „Das kaputte Knie Gottes“ als Neugierig-Macher verstehen mussten, wusste ich wenigstens, dass es sich bei „Das kaputte Knie Gottes“ um den Titel des neuen Romans von Marc Degens handelt (der mir nicht sonderlich gut gefallen hat, das nur by the way). Weshalb mich also genau umgekehrt die Erwähnung des iPads neugierig machte: Was bitte hat dieser Roman mit dem iPad zu tun (es kommt jedenfalls keines darin vor): Gibt es womöglich eine App? Oder wenigstens eine aus dem einen oder anderen Grund spannende Ebook-Version? Und was ist überhaupt „Schloemanns Auslese“ (so lautet die Rubrik, in der dieses Video veröffentlicht wurde)? Fragen über Fragen.
Die allerdings nicht beantwortet werden. Offensichtlich redet hier der SZ-Redakteur Johan Schloemann über den Roman von Marc Degens. Und, ja, tatsächlich kommt ein iPad vor! Und zwar ganz am Anfang. Schloemann sagt: „der Autor Marc Degens – ich zeig Ihnen den mal“, nimmt ein iPad vom Beistelltisch und hält damit ein Foto von Degens in die Kamera. Dann legt er das Gerät wieder weg und liest weiter aus dem gedruckten Buch vor. Die Vermutung liegt nahe, dass die Kolumne ein Teil des iPad-Angebots der SZ ist – und die Onliner sich einfach nicht dafür interessieren, ob Überschriften logisch sind. Oder eben SEO: „iPad“ ist als Schlagwort immer gut, das bringt Klicks.
Für die gnadenlose Ignoranz der Online-Redakteure spricht desweiteren, dass das Video auch per Twitter unter dem Titel „iPad: Das kaputte Knie Gottes“ angekündigt wurde. Sowie die Tatsache, dass man leider nirgends erfährt, ob „Schloemanns Auslese“ eine regelmäßige Kolumne werden soll, ob es weitere Ausgaben gibt oder was für ein Gedanke überhaupt dahinter steht. Denn die beiden Links rechts neben dem Video – Weitere Videos zum Thema Schloemanns Auslese und Artikel zum Thema Schloemanns Auslese – führen jeweils auf eine Fehlerseite [Nachtrag am Sonntag: Mittlerweile gehen die Links auf eine Seite, die allerdings nichts als noch einmal dasselbe Video enthält. Und: einen Link auf das „beliebte Thema iPad“, wo tatsächlich Schloemanns Video den Aufmacher bildet! Das ist im Grunde noch sinnloser als vorher. Nachtrag am Montag: Jetzt ist alles okay – offenbar liest die SZ hier mit, wie schön.]. Der lieblose Umgang und die Art, wie man solche Inhalte zu promoten meint (und just das Gegenteil tut), spricht wahrlich Bände. Allein: Johan Schloemann gelingt es ohnehin nicht und genauso wenig wie all den anderen, mir den Sinn und Zweck von Videorezensionen zu beweisen, da er genau wie alle anderen auf irgendeinem Sessel sitzt, das Buch herzeigt und daraus vorliest und auch nicht viel mehr zu sagen hat, als dass viele Klischees in diesem Roman vorkämen, aber eine Verfilmung sich vielleicht anböte. Weswegen ich das Desinteresse der Online-Redaktion fast schon wieder konsequent finde: gleichsam als Kommentar, der die grandiose Einfallslosigkeit der Macher solcher Videorezensionen nur ein weiteres Mal wiederholt und damit auf sie zurückfallen lässt.
Pingback: Too much information - Papierkorb - Nachtgeschichten
Sehr geehrte Frau Schuster,
in der Tat hat das Ganze erst einmal mehr mit der Vermarktung der iPad-Version der Zeitung zu tun als mit anderem. Was Sie sich da vorgenommen haben, war die allererste Folge eines neuen Formats. Auch wir in der SZ sind mit den Online-Kollegen in der Diskussion, weil wir manches noch unbeholfen und verbesserungswürdig finden, und umgekehrt. Äußerst irritierend finde ich allerdings den Hochmut, den Sie in ihrer Kritik an den Tag legen.
Sehr geehrter Herr Schloemann,
ich hätte nunmal lieber einen Text von Ihnen über dieses Buch gelesen, als Ihnen dabei zuzusehen, wie Sie das iPad bzw. die iPad-Version der SZ vermarkten müssen. Es tut mir sehr leid, wenn Sie das als Hochmut von mir begreifen. Im Grunde ist das bloß die Wut darüber, dass man gute Autoren zu iPad-Haltern degradiert und dann auch noch derart lieblos mit ihnen umgeht, wie es die SZ in Ihrem Fall getan hat.
Pingback: Too much information - Papierkorb - Nachtgeschichten