Unverständniserklärung
Unverständniserklärung

Unverständniserklärung

Vor einigen Jahren, während einer Grimme-Woche, saßen wie jeden Abend mehr oder weniger alle Beteiligten in der Hotelbar, und irgendwann kam das Gespräch auf die Sendung „druckfrisch“. Ich war ehrlich überrascht über die Verve, mit der ein Kollege Denis Schecks Durchgang durch die Bestseller-Liste – die mir das liebste Element dieses Formats ist – verurteilte. In Deutschland, so sein Argument, dürfe man aus bekannten Gründen keine Bücher auf den Müll schmeißen, auch oder gerade nicht, wenn es sich dabei ‚nur‘ um eine Geste handelt (vernichtet werden diese Bücher ja vermutlich nicht). Ich war genau der gegenteiligen Auffassung: Es kursiert eine meiner Meinung nach horrende Menge an gedrucktem Mist mit mindestens reaktionären, teils sogar faschistischen Tendenzen, die ich nur zu gerne in die Tonne trete, da solche Bücher eben jenes demokratische Grundverständnis in Abrede stellen, das aus der Erfahrung des „Dritten Reichs“ resultiert. Zugegeben: Wirklich wohl fühlte ich mich bei der Verteidigung dieser Position schon damals nicht, und das tue ich auch heute noch nicht, auch weil ich die Argumente des Kollegen eigentlich aus meinem eigenen Mund erwartet hätte.

Ich denke oft an dieses Gespräch, das rumort weiter, was wohl das Beste ist, was man über ein Gespräch sagen kann. Auch heute kam es mir wieder in den Sinn, da ich mich durch eine kleine Debatte über Literaturkritik gelesen habe. Ich will jetzt gar nicht „Amerika, du hast es besser!“ seufzen oder das Eine über den Klee loben und das Andere klein machen, aber die Differenz ist doch grotesk genug, dass ich sie hier benennen möchte: Während also Guardian, Slate, New Yorker und New York Times über den Einfluss von Twitter und Facebook auf Autoren und Kritiker bzw. über das Wesen von Kritik an sich nachdenken und diskutieren, sieht es hierzulande so aus:

Die Google-Suche „Steinfeld Schirrmacher Sturm“ liefert aktuell 13.900 Ergebnisse. Selbst wenn sich viele der Links auf denselben Text, etwa eine Pressemeldung, beziehen, bleiben immer noch mehrere tausend Artikel. Ich gebe gerne zu, dass ich nur etwa zehn davon gelesen habe – wage aber dennoch die Behauptung, dass sich unter diesen 13.900 Ergebnissen höchstens zwei finden, die mir etwas bedeuten, die mir etwas sagen, das ich noch nicht weiß, oder die wenigstens derart gut geschrieben sind, dass das Lesen so viel Freude bereitet, dass man über den Mangel an Intellektualität und/oder Neuigkeit hinweg sehen könnte.

Für den Aufreger, der bald darauf folgte, gilt ungefähr dasselbe. Dieter Moor hat für seine Sendung „Titel Thesen Temperamente“ einen Gag von der Satireseite Der Postillon geklaut – und als sich die ttt-Redaktion auf ihrer Facebook-Seite dafür nicht umgehend und knierutschend genug entschuldigte, standen die Moralrichter über Gut und Böse in den Kommentaren gleich Schlange, gerne auch mit Hinweis auf den eigenen Ausstoß zum Thema: „Diese Reaktion ist stillos und peinlich. Noch dazu, da Dieter Moor selbst sich ja für eine Verschärfung des Urheberrechts einsetzt. Ich hab da mal was aufgeschrieben …“. Nicht dass die Sache nicht den Anfang eines spannenden Blog-Artikels, etwa über Satire und Plagiat oder über Kulturkürzungen und Contentmangel oder oder oder, darstellen könnte! Schreibt aber keiner. Stattdessen: „Halten wir also fest: Ein Unterzeichner von ‚Wir sind Urheber‘ tritt die geistige Leistung von anderen mit Füßen.“ Jessas!

Insofern kam Markus Beckedahl mit seinem Text über das Nervpotential von Kommentaren auch mir gerade recht. Ich würde nur zu gerne einen Versuch machen, den es leider nicht geben kann, für den ich allerdings mein spärliches Vermögen aufs Spiel setzen würde: Ich würde wetten, dass Beckedahl seinen Text, wenn eben nicht er selbst ihn geschrieben hätte, sondern einer seiner imaginierten Gegner, gründlich abwatschen würde als eine dieser ‚typischen‘ ‚internetfeindlichen‘ Äußerungen. So wie er es auch in seinem Buch „Die digitale Gesellschaft“ gerne macht. Netzkritische Journalisten, heißt es da, fürchteten bloß um ihre Meinungsführerschaft, Jugendschützern sei es wohl am liebsten, wenn „das Internet einfach abgeschaltet oder zumindest unbenutzbar gemacht würde“, die Musikindustrie sei der „erbittertste Gegner des Netzes“ und so weiter. Lauter mediale Missverständnisse also, und das in einem Buch, das sich „Die digitale Gesellschaft“ nennt (und das auch sozialwissenschaftlich mehr als schwach auf der Brust ist). Das als schlichte Stimmungsmache zu beschreiben, finde ich ehrlich fast zu harmlos.

Womit ich wieder am Anfang wäre, bei der Debatte in den US-Blogs, die auch davon handelt, wie böse ein Kritiker sein darf. Denn zu „Die digitale Gesellschaft“ war ich in meiner Besprechung alles andere als nett, da ich dieses Buch tatsächlich für eine Ansammlung aus Eigenwerbung, Ressentiments und Wissenslücken halte. Letzteres kann man als Kritiker natürlich belegen, bei den Ressentiments und der Eigenwerbung ist das dagegen schon schwieriger oder eben, wie es so schön heißt, subjektiver. Wollte man da wirklich wasserdicht argumentieren, wäre es keine 5.000-Zeichen-Kritik mehr, sondern eine rhetorische Hausarbeit. Ich traute mir das zwar zu, aber dafür gibt es schlichtweg keinen Platz – was ich auch nicht allzu bedauerlich finde, da ich gar keine Lust habe, eine 15-seitige Arbeit über ein meiner Meinung nach schlechtes Buch zu schreiben. Also spitze ich zu, verkürze und werde polemisch. Die Frage, ob das zulässig ist oder nicht, stelle ich mir währenddessen andauernd. Beantworten kann ich sie immer noch nicht, werde ich vielleicht auch nie, aber das gehört wohl dazu. Immerhin gibt es britische und amerikanische Kritker, die sich Ähnliches fragen – während in deutschsprachigen Medien ein paar merkwürdige Scheindebatten geführt werden, die ich schlichtweg nicht verstehe.

2 Kommentare

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