Als ich vor einiger Zeit auf die Konferenz LitFlow aufmerksam wurde, fand ich diesen von der Bundeskulturstiftung finanzierten „Thinktank für die nächste Literatur“ erst einmal interessant, auch wenn es offensichtlich weniger um Literatur als solche (typisches Merkmal: besteht aus Buchstaben) als um deren marktgerechte Formatierung als „Storys“ gehen sollte. Und dann erschien im Perlentaucher ein Text von Stephan Porombka, einem der LitFlow-Organisatoren, der offensichtlich eine Art Keynote darstellen soll. Es ist, wie leider immer noch zu oft (vgl. z.B. das Buch „Die digitale Gesellschaft“), ein Text, der sich vor allem im Prophetischen und nicht im Faktischen gefällt. „Das Nächste, bitte!“ ist allererst eine Predigt und beginnt deshalb auch mit einer Weissagung, die wie jede religiöse Werbung um Jünger eine ganz andere, für Ungläubige bedrohliche Zukunft verspricht:
Dieses Jahr wird es in Frankfurt eine besondere Buchmesse geben. Nicht wegen der Anwesenden. Viel interessanter ist, was noch nicht da ist. Der Markt für literarische Produkte befindet sich in einem epochalen Umbruch. Und kaum jemand weiß, ob man im nächsten Jahr noch das machen wird, was man jetzt macht. Echte Sicherheit gibt es in der Buchbranche zwar ohnehin nicht. Aber so unsicher wie jetzt war es wohl noch nie.
Weiter geht es mit der Denunzierung der Anderen als blind und konservativ:
Tatsächlich haben die Neuerungen, die sich durch die Weiterentwicklung des Internet ergeben, für den gesamten Literaturbetrieb etwas zutiefst Verstörendes. Ökonomen nennen so etwas „disruptive Innovationen“. Die zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nicht langsam und einigermaßen berechenbar etablieren. Disruptiv sind sie, weil sie plötzlich auftauchen und in kurzer Zeit das gesamte Marktgefüge so sehr verschieben, dass alles Etablierte in Frage gestellt wird. Das Problem für alle, die sich im Bestehenden selbstzufrieden eingerichtet haben: Sie können nicht richtig erkennen, was passiert.
Dass „disruptive Innovationen“ per defintionem nicht im Voraus erkennbar sind und es deswegen weitgehend egal ist, ob man sich „selbstzufrieden eingerichtet“ hat oder aufmerksam die Augen offen hält, ficht Porombka nicht an. Auch ist der Literaturbetrieb beileibe nicht so verstört, wie er denkt. (Und die Buchmesse dieses Jahres wird sich nicht allzu sehr unterscheiden von der im vergangenen und der im kommenden Jahr. Wer dort ist, trifft im Übrigen eine Menge Leute, die sich Gedanken über die Zukunft machen, und zwar alles andere als verstört und selbstzufrieden.)
In der Folge nennt Porombka drei Beispiele, um seine „These“ zu untermauern: den Kameramarkt, den Musikmarkt und den Journalismus. „Die großen Kultmarken sind fast vom Markt verschwunden“, sagt er über Ersteres, „Die Zeit der großen Labels ist vorbei“, über Zweiteres, und über Zeitungsverlage heißt es: „Viele begreifen, dass sich das Geschäft langsam aber sicher verkehrt hat. Eigentlich publiziert man digital. Daneben macht man auch noch Print-Ausgaben.“ Ob er diese Behauptungen belegen kann? Er tut es jedenfalls nicht, und ohnehin hege ich daran Zweifel: Natürlich hat es den ein oder anderen Kamerahersteller beim Umstieg aufs Digitale erwischt – die Topsellerliste von Amazon besteht jedoch weiterhin aus Canon, Nikon, Olympus und so weiter. Auch die Musikcharts listen fast ausschließlich die so genannten Majorlabels auf. Und das journalistische Geschäft hat sich nun wahrlich nicht verkehrt, denn weiterhin leidet das digitale Publizieren daran, dass es sich nur schwer finanzieren lässt bzw. aus lauter iPad-Texten besteht, weil die nunmal die meisten Klicks ernten.
Die Brockhaus-Passage lasse ich hier aus, denn da gebe ich Porombka gerne recht. Dann kommt allerdings eine äußerst ärgerliche Sache, die ich nicht mal mehr als Halbwahrheit verbuchen möchte. Erst moniert der Autor, dass Verlage die Ratschläge der Ökonomen ignorieren und die Ebook-Zahlen klein reden würden. Dann zeichnet er die vermeintliche Realität, die alle leugnen:
Mittlerweile erobern die elektronischen Bücher die Bestsellerlisten. Die New York Times hat im August gleich zehn Romane auf den vorderen Rängen gemeldet.
Und das ist nicht nur schwierig als Argument, da der deutsche Buchmarkt nunmal ganz anders strukturiert ist, sondern auch – die Formulierungen „im August“ und „auf den vorderen Rängen“ deuten das schon an – ein bisschen zu vage. Auf der Kombi-Bestsellerliste der New York Times finden sich nur ein paar wenige Bücher, die ausschließlich als Ebook vertrieben werden (eine genauere Aufschlüsselung kann ich nicht finden), aber eine Menge „Majorlabel“-Bücher. Ohnehin will Porombka, wenn ich das richtig verstehe und das bedeutet auch der Artikel, den er an dieser Stelle verlinkt hat, auf den Erfolg der Selfpublishing-Verlage hinaus. Die aber erobern nicht die Bestsellerlisten, sondern ‚nur‘ die Ebook-Bestseller-Listen (7 auf den ersten 25 Plätzen). Da ist also ein bisschen was durcheinander geraten.
Über Porombkas Prophezeiung einer „smarten Literatur“, die im Idealfall wie virale Werbekampagnen funktionieren soll, will ich mich wirklich nicht weiter äußern, denn während dieser Essay kein einziges Beispiel dieser smarten Literatur benennen kann, sondern deren Heraufdämmern ein ums andere Mal in allerlei Floskeln prophezeit, behauptet er gleichzeitig: „Im Literaturbetrieb der Gegenwart mangelt es aber an Phantasie für neue Publikations- und Vertriebsformen.“ Und das sagt mir nur, dass Porombka sich vermutlich nicht die Mühe machen wollte, sich mal ordentlich umzuschauen. Denn der ach so selbstzufriedene und zugleich angeblich schwer verstörte (wie das zusammengehen soll, weiß ich auch nicht) Literaturbetrieb hat durchaus ein paar Ideen (vor einem Jahr habe ich für den FREITAG mal ein paar gesammelt), die ich im Übrigen allesamt spannender (da genuin literarischer) finde als die Konzepte, um die es LitFlow zu gehen scheint.
Ein Bericht über die LitFlow findet sich auf faz.net. Der Text in der heutigen SZ über die Veranstaltung scheint mir auch gelungen, er steht aber leider – so viel zu Porombkas Online-First-These – nicht online.