Es gibt, da wird mir wohl fast jeder Kritiker recht geben, Verlage, die man ganz besonders schätzt. Und es gibt Verlage, die man eher links liegen lässt. Das hat nichts mit bösem Willen zu tun, sondern eher mit dessen Gegenteil: Wenn ich, nachdem ich fünf oder sechs Bücher aus dem X-Verlag gelesen habe, feststellen muss, dass mir kein einziges davon wirklich gut gefallen hat, dann bespreche ich Bücher aus dem X-Verlag eben lieber nicht mehr, da dessen Lektor offenbar einen ganz anderen Geschmack hat als ich, aber jedem Buch doch in jedem Fall der beste Wille eines Rezensenten entgegen gebracht werden sollte. Und manchmal gibt es ja auch den schönen Fall, dass man sich – üblicherweise, wenn der Lektor wechselt – wieder mit dem X-Verlag anfreunden kann. Meine Beispiele dafür sind Suhrkamp und die DVA: Mit deren belletristischem Programm hatte ich lange Schwierigkeiten, aber seit einiger Zeit bin ich immer wieder aufs Schönste überrascht. Suhrkamp hat dank Bierbichler, Schalansky, Maier etc. gerade einen tollen Herbst hinter sich; und die DVA darf sich auf ein großartiges Frühjahr freuen, denn dann erscheint Tom McCarthy Roman „K“ in ihrem Programm.
Obwohl ich mich sehr auf dieses Buch und auf die erhöhte und hoch verdiente Aufmerksamkeit, die diesem Autor aufgrund des Erscheinens in einem ‚großen‘ Verlag zuteil werden wird, freue, hat mich doch auch ein wenig Wehmut ereilt, als ich die Annonce in der DVA-Vorschau sah. Denn die deutsche Übersetzung von McCarthys erstem Roman „8½ Millionen“ (hier meine Rezension, ursprünglich entstanden für dnews.de) ist im Diaphanes Verlag erschienen. Und der gehört zu jenen oben an erster Stelle genannten Verlage, die ich ganz besonders schätze. So sehr, dass mir mittlerweile völlig egal ist, welcher Name und welcher Titel auf dem Cover steht, solange nur „Diaphanes“ darauf steht, und ich also blind in deren belletristisches Regal greifen und dabei völlig sicher sein kann, dass ich es mindestens sehr gut und wahrscheinlich sogar ganz großartig finden werde. Die Prosa, die bei Diaphanes erscheint, trifft meine Erwartungen an gute Literatur einfach zu hundert Prozent.
Dazu muss man sagen: Der Verlag hat die Belletristik erst vor einigen Jahren ins Programm genommen. Ich wurde zuerst durch Bekannte auf ihn aufmerksam gemacht, die in der zeitgenössischen Philosophie und Kulturwissenschaft bewandert sind. Bis zur Gründung von Diaphanes im Jahr 2001 schien dieses Feld eigentlich unter ein paar bekannten Namen aufgeteilt: Da gab es Merve und Passagen, dann noch die Wissenschaft bei Suhrkamp und ein paar kleinere dazwischen und daneben, die aber eher selten ins Gespräch kamen. Und dann trat plötzlich Diaphanes auf, und zwar mit einem Programm, das Merve, Passagen und Suhrkamp doch ins Schwitzen bringen konnte. Ich zitiere hier mal die Wikipedia (die Anzahl der Links in dem Textabschnitt sagt eigentlich schon alles):
Der Verlag wurde zuerst bekannt mit seiner Reihe „Transpositionen“, in der er Erstübersetzungen wichtiger zeitgenössischer französischer und italienischer Philosophen vorlegte, darunter Alain Badiou, Jean-Luc Nancy, Jacques Rancière und Giorgio Agamben.
Einen großen Erfolg erlebte diaphanes 2011 mit der wissenspoetologischen Kapitalismusstudie „Das Gespenst des Kapitals“ des Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl.
Weitere wichtige Autoren sind: Louis Althusser, Maurice Blanchot, Judith Butler, Jean Cavaillès, Stanley Cavell, Simon Critchley, Hubert Damisch, Georges Didi-Huberman, Roberto Esposito, Tim Etchells, François Jullien, Alexander Kluge, Philippe Lacoue-Labarthe, Emmanuel Levinas, Jean-François Lyotard, Louis Marin, Tom McCarthy, Erwin Panofsky, Claus Pias, Michail Ryklin, Eric L. Santner, Fritz Saxl, Reiner Schürmann, Gilbert Simondon, Gayatri Chakravorty Spivak, Bernard Stiegler, Tiqqun, Michael Turnheim, Aby Warburg, Simone Weil und Alenka Zupan?i?.
Insofern habe ich gerne zugegriffen, als ich erfuhr, dass Diaphanes auch Romane ins Programm genommen hatte. So lernte ich den großartigen Tom McCarthy kennen und die im besten und ohnehin jedem Sinne verrückten Erzählungen des Theatermachers Tim Etchells (hier meine Besprechung) und auch Angelika Meier, deren Roman „England“ ich leider nie besprochen habe – was andererseits vielleicht gar nicht so schlecht ist, denn den finde ich sowas von wahnsinnig und wahnsinnig gut und schlau und unterhaltsam, dass mir fast die Worte dafür fehlen. Und diese Autorin gibt mir zuletzt auch noch eine Pointe für diesen Text hier: Dass Tom McCarthy nicht mehr bei Diaphanes erscheint, ist zwar schade, wird für mich aber dadurch absolut wettgemacht, dass im Frühjahr 2012 der nächste Roman von Angelika Meier namens „Heimlich, heimlich mich vergiss“ bei Diaphanes herauskommt. Schon der Text in der Vorschau macht mich so richtig kirre, dass ich´s kaum erwarten kann, das Ding endlich in Händen zu halten:
[…] Dr. Franz v. Stern, als Arzt selbstverständlich mit einer zusätzlichen Hirnrindenschicht und einem Mediator zwischen den Rippen ausgestattet, versagt als Referent in eigener Sache: Unfähig, den Eigenbericht zu schreiben, den seine Klinikleitung ihm abverlangt, erzählt der Arzt sich zurück in seine Vergangenheit […]
So ist das bei Angelika Meier nämlich immer: Da bekommt man eine Story mit einer Selbstverständlichkeit vor den Latz geknallt, dass einem Hören und Sehen und überhaupt alle Sicherheiten, vor allem jene namens Sprache und Subjektivität, gründlich vergehen.
Außerdem erscheint – für die, die mir mein Lob immer noch nicht glauben wollen – bei Diaphanes im kommenden Frühjahr nicht nur eine Broschur- (also billigere) Ausgabe von McCarthys „8½ Millionen“, sondern auch eine Neuauflage des wirklich dringend fehlenden „W oder die Kindheitserinnerung“ von Georges Perec. Dass der Verlag tatsächlich mit traumwandlerischer Sicherheit immer wieder die richtige verlegerische Entscheidung im absolut richtigen Moment trifft, beweist zudem die neue Reihe „diaphanes booklet“, die mit drei Titeln startet: Diese Bücher sind schmale Bändchen mit je gut 100 Seiten, die je einen Essay über – wie brillant ist das denn! – eine wichtige Fernsehserie enthalten. Diedrich Diederichsen (richtig, der fehlte noch in dem in der Wikipedia aufgefächerten Verlags-Portfolio) schreibt über „The Sopranos“, Daniel Eschkötter über „The Wire“ und Simon Rothöhler (zugleich der Herausgeber der Reihe) über „The West Wing“.
Insofern: Glückwunsch, Diaphanes, zum zehnten Geburtstag! Obwohl Du Glück dank so viel verlegerischer Intelligenz und Tugend eigentlich gar nicht nötig hast.
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