Kritiken 2011: „Ruß“ von Feridun Zaimoglu
Kritiken 2011: „Ruß“ von Feridun Zaimoglu

Kritiken 2011: „Ruß“ von Feridun Zaimoglu

Erschienen in der Stuttgarter Zeitung vom 11.10.2011

Seit 1991 und offiziell noch bis zum Ende der nächsten Messperiode gilt Duisburg als wärmster Ort Deutschlands. Dass die Stadt diesen Platz nicht halten wird, hat wenig mit ihr selbst zu tun, nennt das Duisburger Symptom aber dennoch beim Namen: Kein Ruß schwärzt mehr die Hauswände und die Wäsche auf der Leine; die Industrie, die Eisen zum Schmelzen bringt und Kohle bei 1400 Grad in ihre Bestandteile zerlegt, ist vor allem in Ruinen gegenwärtig. Statt Asche treibt es nun die Menschen, die einst in der Hitze der Zechen, Hochöfen und Kokereien ihr Geld verdient haben, durch die Straßen. Kalt ist es geworden.

Dortmunder Zeche Zollern im Jahr 2004

Auch der Schnee und der Frost, unter denen Feridun Zamoglus neuer Roman „Ruß“ das Ruhrgebiet begräbt, meinen nicht nur den meteorologischen Winter. Durch diese eingefrorene Welt treibt Renz, der ohnehin nicht mehr viel spürt, seit seine Frau von einem Einbrecher ermordet wurde, während er ohnmächtig danebenlag. Der Duisburger Arbeitersohn, der Medizin studierte und Arzt wurde, gab danach „die Arbeit im Krankenhaus auf. Hände Arme Beine taub. Bildung hat ihn nicht zum Bürger gemacht.“ Erst sein Schwiegervater riss ihn aus Suff und Lethargie, bot ihm eine Beteiligung an seinem Kiosk an. „Bald sitzt er versuchsweise im Seltershäuschen, er kotzt nicht mehr so häufig, er kämmt sich häufiger. Blasses Gesicht, Zittern, Schnappen nach Luft. Wird aber besser. Tod aufhalten, nennt Eckart das, den Tod umdribbeln.“

Die Taubheit bleibt dennoch, das Leben ist aus den Fugen, alle Möbel hat Renz von den Wänden weggerückt, „nur in der Küche standen Herd und Spüle dort, wo sie stehen sollten. Die Überreste seiner Frau in der Urne. Papier und Stifte auf dem Tisch. Hemden und Hosen im Schrank. In diesen Räumen hielt er sich auf.“ In die Urne tunkt er täglich einen Finger, um Stellas Asche zu schmecken, Erinnerung an sein Versagen. Papier und Stift wiederum sind die Werkzeuge, mit denen er die Stammkunden der Bude – Hansgerd, Kallu, Norbert mit der Plastikhand: früher Kumpel, heute Trinker – als Heilige vorstellt. Jeden Morgen malt Renz Ikonen, die ihre Gesichter tragen. Der Säufer als Täufer.

Die Vergangenheit ist nah, die Gegenwart fern in diesem Roman. Was früher war, steht in „Ruß“ im Präsens, die vordergründige Geschichte dagegen – der Mörder seiner Frau wird aus der Haft entlassen und das Milieu fordert, dass Renz Gleiches mit Gleichem vergilt – erzählt Zaimoglu in einem frostigen Präteritum, das mit expressionistischer Härte die Welt aufzählt: „Männer, die nach Moos und billiger Zitronenseife rochen, müde Hunde an straffer Leine, junge verschweinte Kerle mit Hüftspeck in hautengen, kurzärmeligen Hemden, einen Himmel sahen sie nicht, sie müssten sich vor Verrücktheit eigentlich die Kehle aufschneiden.“ Und zwischen hinein tönt immer wieder ein anderer Text, auch typographisch unterschieden, ein Chor, der die Bergwerker zu Wort kommen lässt: „Wir träumen: Die Feuer sind nicht verloschen, die Hochöfen sind nicht ausgeblasen, die Hochofenstiche färben den Himmel rot.“

Den Ruß, um den nicht nur diese Verse trauern, entdeckt der Roman gleichen Namens erst spät und weit jenseits des Ruhrgebiets. Die Mörder-Jagd, der Renz nicht entkommt, weil er selbst ein Gejagter ist und die Anderen, die stets alle Strippen für ihn ziehen, ihn nicht aus den Augen lassen, führt am Ende nach Österreich. Noch einmal flüchtet Renz vor seiner Aufgabe, nach Berchtesgaden, zu Marja, die ihm nachgereist ist und mit der vielleicht irgendwann ein Wir möglich werden könnte. Die beiden geraten mitten ins Brauchtum, in den Buttermandllauf, einen Nikolaus-Umzug archaisch vermummter Gestalten, die ihre Opfer mit Ruß beschmieren. Eines dieser Urviecher bekommt Marja in die Fänge – und diesmal rettet Renz seine Frau. Deshalb darf auch Stellas Asche, die bestimmt auch ein wenig nach jener Asche schmeckt, die früher im Ruhrgebiet vom Himmel fiel, endlich ruhen. Und Feridun Zaimoglu hat dem Ruhrgebiet seine menschliche Temperatur wenigstens literarisch zurück gegeben.

Feridun Zaimoglu: Ruß. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 267 Seiten, 18,99 Euro.

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