[erschienen in der Stuttgarter Zeitung vom 23. März 2012]
Bis vor einigen Jahren blieb es weitgehend der so genannten Esoterik überlassen, die ganz große politische oder mediale Verschwörung zu wittern, um sich selbst als Tabubrecher und die eigenen Ansichten als einzige Wahrheit und Antwort auf die drohenden Gefahren vorzustellen. Dass es diese Tabus nicht geben kann, wenn dutzende Bücher darüber publiziert werden, ficht die Autoren nie an – und müsste hier nicht weiter beschäftigen, wenn nicht der Sachbuchmarkt zunehmend Gefallen an Publikationen fände, deren ähnlich organisierter Mangel an Fakten und Rationalität von Verlagen offenbar gerne in Kauf genommen wird, sofern man sie nur derart aufsehenerregend vermarkten kann, dass keiner mehr nach dem eigentlichen Inhalt fragt. Das gelang blendend bei Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ und scheint nun auch bei „Der Kulturinfarkt“ von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz zu gelingen. Der Schuss zielt, wie gewohnt, nach links.
Es mag der vierfachen Autorenschaft geschuldet sein, dass sich dieses Buch in einem fort selbst widerspricht – was sowohl eine Zusammenfassung seiner Inhalte als auch die angeblich avisierte Diskussion konsequent verunmöglicht. Zugrunde liegt die Behauptung, die heutige Kulturpolitik, das Konzept „Kultur für alle“, sei gescheitert. Die Belege für dieses Scheitern sind entweder dürftig oder wahllos, nicht selten finden sich an ihrer statt Sätze wie „das wissen wir aus Nutzerstatistiken“ oder „die Fakten reden eine andere Sprache“. Vorgeworfen wird der Kulturpolitik sowohl ein Zuviel als auch ein Zuwenig an Autorität; sie wird als quasi-diktatorisch und „vor-demokratisch“ bezeichnet, um ihr beinahe im selben Atemzug Beliebigkeit und Bedeutungslosigkeit zu unterstellen. Kaum überraschend werden die 68er/Linken/Gutmenschen für ein „gravierendes Legitimationsproblem“ (das ja immer gerne bemüht wird, wenn die Argumente ausgehen) verantwortlich gemacht. Die Kulturpolitik sei „im Kern autoritär und etatistisch, auf den Staat bezogen, angereichert durch gut traditionelle sozialdemokratische Verteilungsrhetorik“, heißt es, sie habe allererst die Wahrung ihrer Besitzstände und ihres elitären Selbstverständnisse im Visier. Ohnehin seien von den geförderten Künstlern keine Impulse zu erwarten, denn die hätten es sich „auf der Fördercouch gemütlich gemacht“, und prämiert würden in bestimmten Sparten nur Werke, die „vor Political Correctness triefen, also die kulturellen Normen von gestern bestätigen“.
Dass Intellektualität den Autoren als rotes Tuch in jedem Sinne gilt, kann nicht überlesen werden. Ernsthaft verwundern sie sich über die Tatsache, dass vor allem Geisteswissenschaftler in Kulturämtern („personelle Endlager“) tätig seien, und ernsthaft stellen sie die Frage: „Brauchen wir tatsächlich so viel ‚Fachlichkeit‘ an so vielen Stellen?“ Zur Definition des Begriffs „Postmoderne“ bevorzugen sie folglich ein Kulturmanagement-Handbuch statt der einschlägigen Aufsätze; ihre Lektüren von Nietzsche, Benjamin und anderen sind kaum weniger grotesk als die Hinweise, dass Kunst den Metadiskurs nicht nötig habe und das abstrakte Niveau nur dazu diene, das Volk fern zu halten. Und weil natürlich nicht sein darf, was den Autoren offenkundig zu hoch ist, soll fortan der freie Markt über die Kultur entscheiden. Nur der könne nämlich die „sedative Lebensweise“ und die „Impotenz“ der Politik beenden und Europa „davor bewahren, an der Last der Vergangenheit zu ersticken“. Und zwar mit mehr „Erlebnis“, „Phantasie“, „Vergnügen“, „außergewöhnlichen Empfindungen“ und eben „nicht nur Theorie“.
Der auch weiterhin mit Ressentiments und PR-Sprech reichhaltig alimentierte Rettungsplan will die Zahl der staatlichen Einrichtungen signifikant reduzieren (teils auf die Hälfte) und das gesparte Geld der Privatwirtschaft überweisen. Womit endgültig unverständlich wird, warum zuvor so vehement darauf abgehoben wurde, dass staatliche Förderung der Kunst schade und die Privatwirtschaft nur deshalb kulturell so brillant agiere, weil sie nicht staatlich gefördert werde. Das Konzept sieht jedenfalls vor, „das öffentliche Angebot zu verknappen und das Handlungsfeld für private Akteure zu vergrößern“. Die Autoren, „private Akteure“ fast allesamt, behaupten, das geschehe im Namen des Volkes und im Dienste der Demokratie.
Nun könnte man sich über dieses Buch erheitern – wenn es nicht einen solch muffigen Nachgeschmack entwickelte. Bald zu Beginn wird der Literaturwissenschaftler Emil Staiger als Widerpart einer als unselig individualistisch markierten Postmoderne etabliert. Dass Staiger in der erwähnten Rede von 1966 nicht von irgendeiner Qualität sprach, sondern der zeitgenössischen engagierten Literatur vielmehr eine „Entartung jenes Willens zur Gemeinschaft, der Dichter vergangener Tage beseelte“, attestierte, wird genauso wenig thematisiert wie die Parallele dieser Rede zu einem Aufsatz Staigers von 1933, in dem er für Verständnis für die Kulturpolitik der Nationalsozialisten und deren überaus konkrete Abschaffungen warb. Gleiches gilt für das Zitat, mit dem das Schlusskapitel eröffnet wird: Es erhebt Papst Pius XI. zum Kronzeugen für die Eigenverantwortlichkeit, ohne zu erwähnen, dass jener Pius nur zwei Jahre später ein Konkordat mit Hitler schloss. Das ist entweder dumm oder Absicht, und man weiß wirklich nicht, was einem lieber sein soll.
Eingepasst in diesen Staiger-Pius-Rahmen ist die Beschreibung des aktuellen Zustands der Kultur im altbekannten pathologischen Vokabular. Mit dem „Infarkt“ droht bereits der Titel, in der Folge erscheint die Kulturpolitik wiederholt als „krank“. Da die zu große Staatsnähe die „genetische Disposition“ dieser „Krankheit“ darstelle, lauere in Diskussionen eine „üble Falle“, die die Autoren „in Gedenken an den Sozialphilosophen ‚Adorno-Falle‘“ getauft haben. Eine „üble Falle“ trägt in diesem Buch also den Namen eines Intellektuellen, dem schon einmal eine „genetische Disposition“ untergeschoben wurde, weshalb er Deutschland im Jahr 1934 verlassen musste. Dem nicht genug, wird dessen „Dialektik der Aufklärung“ anschließend als „elitärer Text“ gebrandmarkt, der aus „gedrehten Gedankengängen“ und „entlarvend elitärer Rhetorik“ bestehe, und in dem völlig verkehrten Slogan „Was gefällt, hat schon verloren!“ zusammengefasst. So bleibt nur ein Satz in diesem Buch, dem man vollen Herzens zustimmen kann, weil „Der Kulturinfarkt“ selbst ihn aufs eindrücklichste beweist: Der kulturpolitische Diskurs, heißt es da, „ist zunehmend unscharf, von intellektueller Verarmung geprägt und von Unehrlichkeit.“
Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz: Der Kulturinfarkt. Von Allem zu viel und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubvention. Knaus Verlag, München 2012. 288 Seiten, 19,99 Euro.
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