Die Literaturkritik der großen Zeitungen, so sagt man, verliere – nicht zuletzt durch die so genannten sozialen Qualitäten des World Wide Web (von Blogs bis Communitys) – an Bedeutung. Ich halte diese These grundsätzlich für korrekt, oder wenigstens kommt sie mir logisch vor. Umso verwunderlicher ist allerdings die Tatsache, dass SchriftstellerInnen immer empfindlicher, ja: unsouveräner auf KritikerInnen zu reagieren scheinen. Solange ein Buch gelobt wird, beschwert sich keine/r, ganz gleich, wie viel Blödsinn und Hirnlosigkeit die jeweilige Besprechung enthält. Sobald aber weniger schmeichelhafte Worte fallen, sind Verlage oder gar die AutorInnen selbst ganz schnell mit einer Beschwerde bei der Hand. Ich bin vermutlich nicht die einzige, der das bereits passiert ist; und an das jüngste Beispiel, Stichwort: „Imperium“, werden sich wohl auch die meisten noch sehr gut erinnern. Ich finde das eigentlich auch nicht weiter schlimm, solange man nicht vor Gericht landet, denn dort sind Diskussionen über die Bedeutung von Wörtern meiner Meinung nach denkbar schlecht aufgehoben. Auch zu dem Vorwurf (der natürlich ebenfalls nur bei ‚schlechten‘ Kritiken erhoben wird), dass die Kritik den Inhalt eines Buches verkürzt darstelle, kann man nur sagen: Aber sicher, eben das ist eine ihrer Aufgaben.
Üblicherweise kommen Beschwerden von AutorInnen selten ans Licht der Öffentlichkeit, deshalb nahm ich an, dass nach Kracht wieder ein bisschen Ruhe herrschen wird. Falsch gedacht: Heute lag die neue Ausgabe der Literaturzeitschrift Volltext im Briefkasten – und darin findet sich gleich ab Seite 4, als erster großer Text also, ein dreiseitiges Interview mit der Schriftstellerin Julia Franck, das im Wesentlichen damit beschäftigt ist, den Kritiker Hubert Winkels zu kritisieren. Der Stein des Anstoßes ist Winkels Kritik von Francks jüngstem Roman „Rücken an Rücken“ und darin vor allem die Tatsache, dass Winkels die Personalunion von KZ-Opfer und Kinderschänder nicht goutierte. In Winkels Worten:
Hier [voraus ging ein Inhaltsabriss] muss man schon einmal innehalten, um festzustellen, dass in solcher knochentrockenen erzählerischen Abbreviatur der inszenierte personale Zusammenhang zwischen KZ-Opfer und Kinderschänder schmerzhaft ist. Schändlich geradezu, um es im moralisierenden Ton zu sagen. Dieser literarische Schachzug zur Erzeugung historischer Bedeutung und Bedeutsamkeit ist selbst ein Missbrauch von Geschichte und Erinnerungskultur. Derart unlauter hat sich der Wille zur gehobenen Unterhaltung selten offenbart.
Ich bin kein großer Fan von Winkels, kann dessen Unbehagen aber sehr gut verstehen, da diese Verbindung schlichtweg nicht besteht, ja, tatsächlich von der Autorin „erfunden“ (Winkels sagt: „inszeniert“) wurde. Menschen, die im KZ waren, haben allerlei soziale Beschädigungen davongetragen – dass jemand zum Kinderschänder wird, ist jedoch eine der seltensten Folgen. Man darf also als Kritiker durchaus fragen, warum das so erfunden/„inszeniert“ wurde – und diese Frage hat Winkels offensichtlich mit „Unterhaltung“ beantwortet.
Das Volltext-Gespräch offenbart dann leider, dass Julia Franck nicht verstanden hat, was Winkels ihr da vorgeworfen hat. Sie denkt, er verbiete ihr, KZ-Opfer als schlechte Menschen darzustellen, und holt deshalb gleich zum Rundumschlag aus:
Das grenzt in meinen Augen an der Leugnung des Holocaust, darin liegt ein Bestreiten der Gräueltaten der Nationalsozialisten. […] So viel Dreistigkeit und Dummheit muss sich Literatur nicht gefallen lassen.
Der Vorwurf an sie gehe zudem entweder „darüber hinweg, dass ich jüdischer Herkunft bin“ […] „oder aber, er greift mich instinktiv genau dafür an.“ Womit sie sich nicht nur selbst widerspricht (da sie zuvor die Charakterisierung des Individuums jenseits seiner Herkunft verlangte), sondern auch noch nach einer biografistischen Lektüre ihrer Romane verlangt: „welche verheerenden Tribute und Brüche der Nationalsozialismus in meiner Familie verursacht hat“, sei leicht recherchierbar, sagt sie. Auch wird behauptet: „Offenbar bedroht und stört dieser Roman seine [„des Kritikers“] deutsche Erinnerungs- und Weltordnung“. Da grüßt dann wieder diese mittlerweile leider altbekannte Tabu-Behauptung; und auch hier ist sie einfach nur falsch: Es erscheinen jede Menge Romane, die KZ-Überlebende in wahrlich unschönem Licht erscheinen lassen; ein diesbezügliches Meinungsdiktat existiert beileibe nicht. Deshalb zielt auch Francks ganz richtiges Argument, dass ein KZ nicht als Besserungsanstalt vorgestellt werden dürfe, die ihre Insassen zu Humanisten erzogen habe, bittererweise völlig ins Leere.
Der Interviewer Klaus Zeyringer versucht derweil eifrig, den Spießer und das Spießertum ins Zentrum des Gesprächs zu rücken; dass Hubert Winkels dafür das beste Beispiel abgeben soll, wird freilich nicht gesagt. Aber welcher Leser könnte diesen Namen denn bitte in der Zwischenzeit vergessen haben, da er offensichtlich Grund und Ursache des Interviews darstellt? Und dann sagt Julia Franck auch noch, dass Hermann Broch einst „Hitler selbst als den Kitsch-Menschen schlechthin entlarvt“ habe, „Ähnliches könnte man leicht mit einem Kritiker meiner Romane tun“. Und spätestens da fehlen mir echt die Worte, weshalb ich mich derer von Hubert Winkels bediene:
Hier muss man schon einmal innehalten, um festzustellen, dass in solcher knochentrockenen erzählerischen Abbreviatur der inszenierte Zusammenhang zwischen Hitler und Kritiker schmerzhaft ist. Schändlich geradezu, um es im moralisierenden Ton zu sagen. Dieser literarische Schachzug zur Erzeugung historischer Bedeutung und Bedeutsamkeit ist selbst ein Missbrauch von Geschichte und Erinnerungskultur. Derart unlauter hat sich der Wille zur gehobenen Unterhaltung selten offenbart.
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