Bestseller
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Ich weiß natürlich, dass die Gleichung populäre Literatur = schlechte Literatur nicht immer aufgeht. Dennoch lässt mich mit die allwöchentliche Bestseller-Liste immer öfter rat- und sprachlos zurück, obwohl ich meiner Meinung nach keinen sonderlich elitären Geschmack habe. Am meisten schätze ich die Bücher, die mich irritieren und verunsichern; einfach weil ich meine, dass das eine der Hauptaufgaben von Literatur darstellt (mich ängstigen gelingt dem Kino besser, mich langweilen der Zeitung, mich aufregen dem TV). Zudem erwarte ich von den Büchern, die sich als Romane bezeichnen, dass sie auch wirklich Romane, i.e. Literatur, sind, sie also wissen, was für ein Medium – ach, ja: die Sprache… – sie gebrauchen, und dass sie dieses Gebrauchen wie auch immer reflektieren. Auf der Bestseller-Liste finde ich meist weder das eine noch das andere, im Gegenteil setzt sich diese Liste aus Büchern zusammen, angesichts derer man froh sein kann, dass Adorno bereits tot ist und also nicht mehr miterleben muss, wie gehorsam und in welch platten Worten diese Bücher der Kulturindustrie zu Diensten sind. Ich frage mich ernsthaft, warum die Leser dieser Bücher nicht einfach die Glotze anmachen, statt ein Buch in die Hand zu nehmen. Diese so heile wie falsche wie fade Welt, in der das Leben auf die Frage nach dem Täter – sei´s eines Mordes, sei´s eines lang ersehnten Kusses – reduziert wird und die bittersten aller Frauenbilder sich versammelt haben, gibt es auf dem Bildschirm nämlich deutlich billiger und umstandsloser zu haben.

Bei den meisten genügt mir bereits der erste Satz. Wir können das hier gerne mal durchspielen:

1. Charlotte Roches Roman „Schoßgebete“ beginnt mit dem Satz: „Wie immer vor dem Sex haben wir beide Heizdecken im Bett eine halbe Stunde vorher angemacht.“ Die beiden zentralen Wörter sind hier zweifellos „Sex“ und „Heizdecken“, die sich freilich als paradox vorstellen sollen, denn, klar: Heizdecken sind doch diese Dinger, die kleinen Kindern gegen Bauchschmerzen helfen und alten Leuten auf Kaffeefahrten aufgeschwätzt werden und also denkbar wenig mit erwachsenem und aufregendem Sex zu tun haben. Banaler habe ich den leider von vielen Autoren als Romandgrundlage sehr geschätzten Gegensatz von „Ich“ und „die Anderen, alles voll die Spießer“ schon lange nicht mehr gelesen. Zudem der Satz ja ohnehin wirklich hässlich ist, selbst wenn man die „vor“-Dopplung ignorieren könnte: Auf was bezieht sich denn das „beide“ – auf das „wir“ oder auf die Heizdecken? Und was soll eigentlich dieses „im Bett“ heißen? Dass sie die Heizdecken im Bett angemacht haben? Oder dass sie die Heizdecken im Bett angemacht haben? Man weiß es nicht, und ich fürchte bzw. bin mir ziemlich sicher, dass es die Autorin auch nicht weiß. (Diese Aufmerksamkeit auf solche Kleinigkeiten mag übertrieben erscheinen, aber ich bin nunmal der Meinung, dass man die deutsche Sprache erst einmal beherrschen sollte, bevor man sich irgendwann vielleicht erlaubt, ein Buch zu veröffentlichen.)

2. Rebecca Gablés (ein Künstlername, klar) Roman „Der dunkle Thron“ beginnt mit der direkten Rede: „Waringham, du bist einfach hoffnungslos.“ Tja, was soll man da sagen: Gablé behauptet hier zwar, dass Waringham hoffnungslos ist, aber das meint sie natürlich nicht. Nein, Gablé wollte vermutlich sagen, dass Waringham ein hoffnungsloser Fall bzw. hoffnungslos doof/naiv/blauäugig o.ä. ist. Wieso sie das dann nicht auch hinschreibt, wenn sie es denn meint, weiß ich leider nicht. Offensichtlich scheint sie mit der deutschen Sprache ebenfalls große Schwierigkeiten zu haben.

3. Dora Heldts Roman „Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt“ beginnt mit dem Satz „Im Treppenhaus roch es nach angebratenen Zwiebeln.“ Da weder dieses Treppenhaus noch dieser Geruch auf den folgenden Seiten irgendeine Rolle spielen, nehme ich an, dass dieser Satz der Erzeugung irgendeiner Atmosphäre dienen soll. Da merkt man dann wieder, dass Dora Heldt für eine – mindestens gedanklich – weitaus ältere Generation als die meine schreibt: Treppenhaus und Zwiebelgeruch, diese Atmo-Kombination stammt aus den 1950er Jahren, als die Hausmeister noch stolz ihre Wehrmachtsmitgliedschaft vor sich her trugen und Zwiebeln als „Südländer-Aroma“ diskreditiert wurden. Ich zumindest liebe den Geruch von angebratenen Zwiebeln sehr, und ich denke, da stehe ich nicht alleine da. Vielleicht mag sogar Dora Heldt diesen Geruch, aber darüber hat sie vermutlich nie nachgedacht, weil so eine Suche nach dem richtigen Wort eine Menge Zeit benötigte und das Klischeeshinschreiben nunmal viel schneller geht und einfacher ist. Genauso einfach gelingt der Protagonistin natürlich auch die Flucht aus ihrem Wohnungsloch (Treppenhaus! Zwiebelgeruch!). Ne Idee? Klar: Sie fährt in ein Arbeitslager namens Spa, um sich zu erholen, und nennt das dann „Wellness-Wochenende“, damit es nicht gar so auffällt, dass sie ihr Hirn schon vor mindestens dreißig Jahren gegen eine Handtasche eingetauscht hat

4. Der erste Satz von David Safiers Roman „Happy Family“ lautet „‘Ein indianisches Sprichwort sagt: Je mehr man jemanden liebt, desto mehr möchte man ihn umbringen‘, erklärte meine Angestellte.“ Nun, jenseits dessen, dass Safiers herrenwitzige Arroganz bereits in der Formulierung „meine Angestellte“ sichtbar wird, ist dieses indianische Sprichwort natürlich völliger Quatsch. Meine ich zumindest, da ich mir beim besten Willen nicht denken kann, was „mehr umbringen“ oder „mehr umbringen mögen“ bedeuten soll. Man begreift natürlich, was Safier sagen will. Aber dann soll er das bitte einfach tun – sofern er´s denn kann.

5. John Grishams neuer Roman „Confession“ beginnt mit dem Satz: „The custodian at St. Mark´s had just scraped three inches of snow off the sidewalks when the man with the cane appeared.“ Auf Deutsch wurde daraus: „Der Küster von St. Mark hatte gerade eine dicke Schneeschicht vom Gehsteig geschippt, als ein Fremder mit einem Gehstock auftauchte.“ Wo die „three inch“ hin sind? Ehrlich, keine Ahnung. Genauso wenig, wie ich mir erklären kann, dass aus dem Mann mit dem Stock „ein Fremder mit einem Gehstock“ wird.

6. Nur wenig besser die Übersetzung des ersten Satzes des Romans „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson, die da lautet: „Man möchte meinen, er hätte seine Entscheidung etwas früher treffen und seine Umgebung netterweise auch davon in Kenntnis setzen können.“ Das Schwedische „omgivnigen“ heißt laut Online-Wörterbuch tatsächlich „Umgebung“, allerdings kenne ich die Konnotationen nicht. Im Deutschen klingt es jedenfalls bescheuert: Der Hundertjährige sollte doch wohl nicht die Blumen und Bäume, Straßen und Parks davon in Kenntnis setzen, sondern seinen Bekanntenkreis. Auch ist dieser schludrige Ton ziemlich bemüht und umständlich und deshalb gerade nicht authentisch.

So viel von den Bestsellern für heute. Ich hoffe, dass ich bald mal wieder Zeit finde, ein paar erste Sätze zu rezensieren. Dass ich das hier und heute überhaupt mal getan habe, verdankt sich neben meiner schon lange köchelnden Verwunderung vor allem diesem Text. Allerdings kann ich (noch?) nicht genau erklären, warum das so ist. Lukas Heinser schreibt über Musik und spricht von „Kitsch“. Die Bücher, deren Beliebtheit ich nicht begreifen will, halte ich allerdings für schlimmer als Kitsch: Sie sind fast durchweg reaktionär, gerne auch mal rassistisch und sexistisch sowieso. Und vor allem sind sie Bestseller.

5 Kommentare

  1. ‚Omgivning‘ bedeutet tatsächlich ‚Umgebung, Umwelt‘ (Synonym zu miljö). Das kann im Schwedischen so übertragen (mitmenschlich im Gegensatz zu bäumlich und blümlich) gebraucht werden wie im Deutschen.

    Hier der Originalsatz:
    Man kan tycka att han kunde ha bestämt sig tidigare
    och att han kunde ha varit karl nog att meddela omgivningen
    sitt beslut. Men Allan Karlsson hade aldrig grubblat för
    länge kring saker och ting.

    Auf deutsch: Man könnte annehmen, dass er sich früher hätte entscheiden oder Manns genug sein können, seiner [wörtlich: der] Umgebung seinen Entschluss mitzuteilen. Aber Allan Karlsson hatte sich nie besonders lang über dies und jenes den Kopf zerbrochen.

    Nun ja, besonders gut ist der Satz nicht komponiert, aber für schwedische Verhältnisse noch im guten Durchschnitt. Es gibt zwei Beschlüsse im ersten Satz, erstens den Beschluss zu gehen und zudem den, den Beschluss zu gehen mitzuteilen. Das hätte überarbeitet gehört, aber in Schweden wird nicht so eifrig redigiert wie in Deutschland.

    Du fragst Dich, warum die Leser von Bücher wie Schoßgebete nicht einfach die Glotze anmachen, statt ein Buch in die Hand zu nehmen. Es gibt eine große Menschenmenge, die einem als normaler Schriftsteller unzugänglich ist. Im Jargon Hausfrauen genannt. Das sind die Leute, die Hape Kerkeling, Roche, Jaud und solche Sachen lesen. Vielleicht weil man in der U-Bahn nicht Fernsehen kann. Die Gruppe macht solche Bücher zu einem Megahit, weil sie die Titel untereinander von Mund zu Mund empfiehlt: Das musst Du unbedingt lesen. Und die Servicejournalisten, zum Beispiel eine Hausfrau, die halbtags für WDR-Radio rezensiert und nebenbei mit Rezensionsexemplaren bei Amazon schwarzhandelt (um mal ein reales Beispiel zu nennen), empfiehlt das dann dort, wo Hausfrauen zuhören.

    Normale Romanleser empfehlen nicht in diesem Umfang. Mit einem für diese Leser konzipierten Roman, der eine Konzentrationsfähigkeit für 300 Seiten erfordert und eine wirkliche Entwicklung von Handlung und Figuren zeigt, kommt man an die Hausfrauen nicht ran. Das ist nur ganz wenigen gelungen (Patrick Süsskind und Daniel Kehlmann), weil ihre Geschichte sehr leicht sind.

    Darüber braucht man aber nicht böse zu sein. Verleger verdienen damit das Geld, mit dem sie richtige Schriftsteller bezahlen. Eine alternativlose Transferunion, sozusagen.

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